Robert Schumann: Nachtstücke op. 23
Heinz Holliger: Elis ·
Alexander Skriabin: Sonate Nr. 9
Maurice Ravel: Gaspard de la Nuit
W.A. Mozart: Adagio KV 540
Herbert Schuch, Klavier
Konzertprogramme von Herbert Schuch zeichnen
sich stets durch eine bis ins Detail durchdachte
Dramaturgie aus, ergänzt durch einen Schuss
Wagemut und Experimentierfreude. Der Hörer profitiert
durch neue Sichtweisen auf bekannte Werke und
die Begegnung mit selten zu hörenden Stücken, deren
Sinnfälligkeit frappiert.
In Maurice Ravels „Gaspard de la nuit“, einem
Prüfstein für die virtuosen Fähigkeiten jedes Pianisten,
zieht er alle Register seines manuellen Könnens, vor
allem aber seiner Begabung, Musik zu „erzählen“,
das Publikum in einen musikalischen Kosmos zu
entführen. Auch seine persönliche Schumann-Sicht
gewinnt der Musik eine selten zu hörende innere
Logik ab. Verblüffend auch bei dieser CD die engen
inneren Zusammenhänge der Werke untereinander,
die Schuch in einem beigegebenen Interview im
CD-Booklet einleuchtend erklärt.
Der Humor in der Nacht
Florian Olters spricht mit Herbert Schuch
über das Programm auf dieser CD
„Die Nacht weckt eigenthümliche Gefühle
und gibt Allem einen sentimentalen Ton,
indem die Außenwelt, im Dunkel geborgen
oder vom Dämmerlicht erhellt, die Phantasie
nicht unmittelbar in Anspruch nimmt,
sondern das Gemüth vorwalten läßt, und so
sich alle Bethätigung der Seele nach Innen
wendet.“ Herr Schuch, inwieweit passt dieses
Zitat aus der Aesthetik der Tonkunst von
Ferdinand Hand von 1841 zu dieser CD?
Zu Robert Schumann ist der Bezug sicher
evident. Es ist bekannt, dass sich Schumann
mit Hand auseinandergesetzt hat. Dennoch
habe ich einen Einwand: Seine Nachtstücke
sind nicht durchweg „im Dunkel geborgen
oder vom Dämmerlicht erhellt“. Es gibt in ihnen
eigentlich alles, auch Unheimliches, Bizarres,
subtil Humorvolles. Bis heute ist letztlich
nicht bekannt, wie der Titel Nachtstücke
zustande kam. Es gibt Vermutungen, dass es
mit dem Tod seines Bruders zusammenhing.
Was vermuten Sie?
Meiner Meinung nach berühren die Nachtstücke
das erzählerische Werk von E.T.A.
Hoffmann. Ursprünglich sollten die Nachtstücke
von Schumann „Leichenphantasien“
heißen. Außerdem hatte Schumann den
vier Stücken zunächst Titel gegeben, die er
für die Drucklegung wieder zurückzog. Das
erste Stück hieß „Trauerzug“, dann folgte die
„Kuriose Gesellschaft“, das dritte war das
„Nächtliche Gelage“, „Rundgesang mit Solostimmen“
lautete das letzte. All das verweist
auf Hoffmanns Nachtstücke und Phantasiestücke
in Callots Manier. Ich denke dabei aber
auch an Ravels Gaspard de la nuit.
Zumal die einzelnen Sätze aus Ravels Werk,
das von Aloysius Bertrands gleichnamiger
Dichtung von 1842 inspiriert ist, nicht minder
bizarren Titeln und Themen folgen:
Ondine (die Meerjungfrau Undine), Le gibet
(ein Erhängter am Galgen in der Abenddämmerung)
und Scarbo (ein Kobold oder
Dämon, der Menschen im Schlaf stört).
Es gibt tatsächlich verblüffende Zusammenhänge
zwischen Callot, Hoffmann,
Schumann, Bertrand und Ravel. Da sind
einerseits E.T.A. Hoffmanns, dann Schumanns
Nachtstücke, wie auch Hoffmanns
Phantasiestücke in Callots Manier (nach dem
französischen Zeichner Jacques Callot). Andererseits
findet sich im dritten Stück Scarbo
aus Ravels Gaspard de la nuit in der Dichtung
von Bertrand ein Zitat aus den Nachtstücken
von Hoffmann: Bevor die Verse beginnen,
hat Bertrand Hoffmann zitiert, der sich wiederum
auf Callot beruft. Doch es geht noch
weiter: Bertrands Verse, die Ravel
inspirierten, sind Phantasiestücke
in Rembrands und Callots Manier
– so der Untertitel bei Bertrand.
Hier gibt es also offenbar Bezugnahmen,
ob nun bewusst oder
unbewusst. Das berührt letztlich
ebenso die Werke von Schumann
und Ravel, ob nun direkt oder
indirekt.
Auch Gustav Mahler hat den
langsamen Satz aus seiner
1. Sinfonie „in Callots Manier“
gedacht. Waren Ihnen diese Verbindungen
von Anfang an klar,
als Sie das Programm erstellten?
Das Programm auf der CD ist intuitiv entstanden.
Zunächst wollte ich unbedingt Ravels
Gaspard de la nuit machen, das ist für jeden
Pianisten eine immense Herausforderung. Auf
der Suche nach adäquaten Werken, mit denen
ich diese Komposition koppeln könnte, bin ich
auf Schumanns Nachtstücke gekommen. Von
Schumann war es nicht weit zu Heinz Holliger,
dessen Schaffen ja in enger Beziehung zu
Schumann steht. In Konzerten habe ich dann
bemerkt, dass diese drei unterschiedlichen Werke
von der Grundidee her malend sind und einer
Tonpoesie folgen. Deshalb wollte ich noch
einen dramatischen Kern integrieren und habe
Alexander Scriabins 9. Sonate „Schwarze Messe“
und Mozarts Adagio hinzugenommen.
Lässt sich nicht Mozarts Adagio auch als
Vorwegnahme einer romantischen Tonpoesie
im Schumann’schen Sinne hören?
Durchaus. Die Generalpausen am Schluss
der Durchführung: Sie erscheinen wie weiße
Flecken, man wird alleine gelassen. Das Adagio
ist von Mozart und klingt doch untypisch
für ihn. Es ist für seine Zeit ein bemerkenswertes
Werk. Mozart hat es nicht als Auftrag
komponiert, es war sein tiefstes Bedürfnis,
er musste es komponieren. Was die Zerrissenheit
betrifft, besitzt sicherlich noch die
Fantasie c-Moll etwas Schumanneskes. Hätte
Schumann das Adagio gekannt, hätte er seine
Meinung über Mozart sicherlich revidiert.
Welche Verbindungen hören Sie zwischen
Mozarts Adagio und Scriabins Schwarzer
Messe ?
Nicht zuletzt entsprechen sich beide Werke
formal, sie folgen nämlich der Sonatenhauptsatzform.
Apropos formale Vorgehensweisen
beim Komponieren: Es gibt da auch Parallelen
zwischen Schumann und Ravel. Mag
sein, dass Schumanns Tonpoesie Seelenbilder
zeichnet, während sich bei Ravel die Seelentiefe
durch eine klangsinnliche, farbenreiche,
brillante Oberfläche mitteilt: Aber ähnlich wie
Schumann baut Ravel in Ondine eine Melodie
auf, die stets neu beleuchtet wird. Denken Sie
nur an das erste Nachtstück von Schumann.
Wobei sich bei Schumann der Wandel vor
allem auf der semantischen Ebene äußert:
Ein stolzer Marsch wird zunehmend zu einem
schattenhaften Treiben.
Das stimmt. Schumann reiht Semantiken
und unterschiedliche Ideen aneinander,
wodurch es zu Kontrastierungen kommt.
Aber, und das ist entscheidend: es entsteht
eine große Synthese. Die Kontraste sind bei
ihm nicht immer nur launisch, unvermittelt,
hart, sondern alles fließt ineinander. Das bestimmt
letztlich auch die Form seiner Stücke,
die gewissermaßen nach Übergängen gegliedert
sind.
Inwieweit reden wir über Humor?
Ich denke, dass Humor seinerzeit viel mit
Kontrastierung zu tun hatte. So wurde
Ludwig van Beethoven häufig eine bizarre
Haltung vorgeworfen, womit das Kantige,
Kontrastierende und Schroffe gemeint war.
Sein Spätwerk wurde von konservativen
Kreisen als bizarr abgetan. Diese Eigenschaften
wurden in den 1830er Jahren unter dem
Begriff „Romantischer Humor“ eingeordnet.
Demnach ist Humor das Prinzip der Kontrastierung
bzw. der Zusammensetzung von
Dingen, die eigentlich nicht zusammengehören.
Humor hat nicht notgedrungen mit einer
humorvollen Stimmung zu tun, sondern
ist eine Art Lebensphilosophie. Das ist bei
Schumann sehr ausgeprägt.
Und bei Holliger? Häufig ist zu lesen, Holliger
sei ein „moderner Schumann“, weil er
seine Musik auf Sanglichkeit als Ausdruck
seelischer Regung gründe.
Nun, die Stile und Ausdrucksweisen mögen
sich verändert haben; aber es ist bekannt, dass
Holliger ein Schumann-Fan ist. Was man bei
Holliger auf jeden Fall hört, ist ein Humor
im romantischen Sinne – also die Kontrastierung.
In Elis – Drei Nachtstücke von 1961/66
ziehen sich Zustände durch die Werke, die
nach Takten gegliedert sind. Das sind kurze
Figuren und Gesten, ich empfinde bei Holliger
ein starkes gestisches Element. Und ich
nehme ebenso Parallelen zu Ravel wahr.
Inwiefern?
Da ist zunächst die Auslotung von klanglichen
Möglichkeiten, das klangsinnlich Interessierte.
Schumanns Nachtstücke gehen
hingegen fast nie aus dem Mittelbereich der
Klaviatur hinaus: Das ist eine Musik, die
sehr stark nach Innen leuchtet. In Holligers
Musik ist die Verteilung des Klangs im Raum
ein wesentliches Merkmal, das verweist auf
Ravel.
Doch wie äußert sich der Humor bei Ravel?
Humor hat viele Gesichter. Sándor Végh hat
mal gesagt, Humor sei eine Form von „Superernst-
Sein“. In diesem Sinne ist Le gibet
ein superernstes Stück. Erhängte, die man in
der Abenddämmerung betrachtet: Von Callot
gibt es Zeichnungen, auf denen die Erhängten
zu Dutzenden am Galgen hängen.
Das kann man schrecklich finden, aber man
kann vor Abscheu auch lachen. Le gibet ist
ein rabenschwarzes Nachtgemälde, hier lässt
sich eine Brücke zu Scriabins Schwarzer Messe
schlagen.
In ihr bezieht sich Scriabin u.a. auf die
Faust-Symphonie von Franz Liszt und deutet
das Glockenmotiv aus Modest Mussorgskys
Oper Boris Godunow um. Wie arbeitet Ravel?
Aus Le gibet spricht eine ungeheure Unausweichlichkeit.
Ähnlich wie bei Scriabins
Glockenmotiv insistiert Ravel mit Tonrepetitionen,
wobei Scriabin diese durch Temposteigerungen
noch dramatisiert. Apropos
Schwarze Messe: Das h-Moll aus Mozarts
Adagio nannte Beethoven die „schwarze Tonart“.
Heinz Holiger:
„Elis“
I. „Elis, wenn die Amsel im
Schwarzen Walde ruft,
Dieses ist dein Untergang.“
(aus „An den Knaben Elis“)
II. „Blaue Tauben
Trinken nachts den eisigen
Schweiß
Der von Elis’ kristalliner Stirne
Rinnt.“
(aus „Elis II“)
III. „Ein goldener Kahn
Schaukelt, Elis, dein Herz am
Einsamen Himmel.“
(aus „Elis I“)
Georg Trakl
|