Iannis Xenakis: Rebonds pour percussion solo
José Manuel Lopez-Lopez: Calculo secreto pour vibraphone
Matthias Pintscher: nemeton for solo percussion
Jacob Druckman: Reflections on the nature of water for
solo marimba · Vinko Globokar: Toucher für einen Schlagzeuger
(Text von Bertolt Brecht)
Johannes Fischer, Schlagwerk
Beim Internationalen Musikwettbewerb der ARD 2007
in München hat er regelrecht abgeräumt: Neben
dem 1. Preis im Fach Schlagzeug wurden ihm fast
sämtliche Sonderpreise sowie der Publikumspreis
zuerkannt, für viele war er 2007 die überragende
Persönlichkeit des Wettbewerbs. Nicht zuletzt gewann
der deutsche Schlagzeuger Johannes Fischer auch den
OehmsClassics-Sonderpreis, und so erscheint nun seine
erste CD in der Reihe OehmsClassics Debut. Das
Programm stellte der 1981 geborene Perkussionisten
und Komponist aus Werken zusammen, die zwischen
1973 und 2007 entstanden sind und Schlüsselpositionen
für die Neue Musik einnehmen. Ebenfalls zu hören ist die Komposition nemeton des 1971 geborenen
deutschen Komponisten Matthias Pintscher: Dieses
2007 entstandene Werk wurde als Pflichtstück vom
ARD-Musikwettbewerb in Auftrag gegeben. Mit ihm
hatte Fischer beim Wettbewerb Furore gemacht und
zusätzlich den Preis für die beste Interpretation des
Auftragswerks gewonnen.
Gravity … was wäre
ein Schlagzeuger ohne die Schwerkraft!
Die Kunst, fast ohne Muskelkraft einen
Großteil der Bewegungsarbeit dem
Eigengewicht
unserer Schlägel oder
manchmal unserer Hände zu überlassen,
um ins Innere des Klanges eines jeden
unserer Instrumente vorzudringen.
Das Spiel mit der Schwerkraft wird also
zum Spiel mit und um den Klang selbst.
Gestische und choreographisch organisierte
Bewegungsabläufe dienen nicht
dem Selbstzweck, sondern allein der
Strukturierung und klanglichen Umsetzung
unserer Partituren. So unterschiedlich
diese sein mögen, so vielfältig
muss das klangliche und gestische
Repertoire des Interpreten sein. Stetig
lernt man erneut, lernt hinzu, denn
Schlag ist nicht einfach gleich Schlag.
Bei Iannis Xenakis’ zweiteiligem Werk
Rebonds (1987 – 89) ist genau dieses
Phänomen des Schlages respektive seines
Rückpralls nach dem Auftreffen auf
das Fell Gegenstand der kompositorischen
Idee. So wird die einzelne Geste
des aufprallenden Schlägels als Formmodell
expandiert auf einen großen
Strukturzusammenhang. Auffallend
dabeiist,
dass sich, ähnlich dem Bewegungsablauf
eines springenden Gummiballs,
die Impulse zunehmend verdichten,
somit also eine Art Beschleunigungsform
ensteht. Diese führt dazu,
dass der Interpret hier technisch bis ans
Limit seiner Möglichkeiten gebracht
wird. Dieses Ȇber-sich-hinaus-Wachsen
« verleiht dem Werk eine faszinierende,
beinahe transzendente Aura. Anders
als in vielen seiner Kompositionen
weckt dieses Schlagzeugsolo zwar keine
Assoziationen zur antiken Mythologie,
jedoch schafft Xenakis gerade durch
disziplinierte kompositorische Strategien
und eine stringente Zeitorganisation
ein wuchtiges, virtuoses Werk voll
ritueller Kraft.
Bei nemeton (2007) von Matthias
Pintscher birgt bereits der Werktitel
eine geheimnisvolle Grundstimmung.
Der Begriff »nemeton« entstammt der
keltischen Mystik und bezeichnet die
magischen Orte, an denen Druiden ihre
Zeremonien abhielten. Laut Pintscher
ein »Ort gebannter Energie«. Diese
Energie
sammelt sich zunächst zwischen
den vereinzelten Tonpunkten, die
sich nach und nach zu Klangkaskaden
verbinden und in lauten Höhepunkten
entladen. Das Werk sucht die Utopie
des »legato« der verschiedenen kurz
klingenden Holzinstrumente, untersucht
das gesangliche Potenzial eben
dieser zunächst so trocken und punktuell
erscheinenden Klangerzeuger.
Doch die schönsten und zartesten Stellen
des Stücks entstehen dort, wo die
Klänge, ihrer Schwerkraft beraubt, bis
an die Grenze des Hörbaren in einen
zeitlosen Zustand der Stille versickern,
bevor sie, sich erneut verdichtend, mit
aller Kraft im apotheotischen Schluss
münden. Nemeton ist in enger Zusammenarbeit
mit dem Schlagzeuger Rainer
Römer entstanden und war Auftragskomposition
des 56. Internationalen
Musikwettbewerbs der ARD in München.
Stille, Bewegung und mäandernder
Zeitfluss sind auch Eigenschaften
der Reflections on the Nature of Water
(1986) für Solomarimba von Jacob
Druckman. In sechs Miniaturen werden
verschiedene Charaktere des Wassers
dargestellt. Ein für mich außerordentlich
faszinierendes Element, Grundlage
allen Lebens, gegenwärtig in den unterschiedlichsten
Formen als Gas, Eis oder
Flüssigkeit. Doch nicht nur diese physikalischen
Eigenschaften, auch sein poetisches
und assoziatives Potenzial hat
Künstler aller Epochen immer wieder
angeregt. Man denke hier beispielsweise
an Komponisten des Impressionismus,
zu deren Tonsprache Druckman
sicherlich
Affinität aufweist. Geschmeidig,
fluide und dennoch fähig, in steter
Unnachgiebigkeit sogar einen Stein zu
formen und zu ändern. Der schottische
Landschaftskünstler Andy Goldsworthy
hat immer wieder erwähnt, wie sehr
ihn die Arbeit mit Wasser, insbesondere
an Flüssen, gelehrt hat, zeitliche Abläufe
besser zu verstehen. Jacob Druckman
versteht es, durch die Reduktion
seiner
kompositorischen Mittel dieseunterschiedlichen
assoziativen Klangbilder
konzis auszudrücken. Repetierte Motive
erinnern an zyklische Abläufe, Dinge
kehren wieder, haben sich im Lauf der
Zeit natürlich verändert. Dabei scheinen
diese Miniaturen der Marimba wie auf
den Leib geschrieben. Gekonnt wird das
klangliche Spektrum des Instrumentes
ausgelotet, und die äußerst detaillierte
Partitur bietet dennoch einen großen
spielerischen und erfinderischen Entfaltungsraum.
Calculo Secreto (1995) des spanischen
Komponisten José Manuel López López
erfordert einen vollen, stellenweise
nahezu orchestralen Vibraphonklang.
Hier ist man erneut auf die Hilfe unserer
so vertrauten Schwerkraft angewiesen.
Das Stück wurde 1992 für den
spanischen Schlagzeuger Miguel Bernat
geschrieben. Aus einem Akkordarpeggio,
dessen harmonische Zusammensetzung
sich als zentraler Klang erweist,
der durch das gesamte Stück führt, entwickelt
sich ein kaleidoskopartiges
Formlabyrinth, in dessen stark kontrastierenden
Auswüchsen einzig die harmonische
Substanzgemeinschaft Zusammenhang
stiftet. Wichtig ist López
López das Spiel mit Resonanzen. Harmonische
Einfärbung durch Klänge, die
in den akustischen »Resonanzschatten«
des Vorhergehenden gespielt werden.
Elegant »verduftet« die Musik, nachdem
sich ein letztes Mal wasserfallartige
Tonkaskaden zu einem virtuosen
Höhepunkt aufschaukeln.
Eine Art »Mikrovirtuosität« zeichnet
die fantasievollen und erfinderischen
Schlagzeugwerke von Vinko Globokar
aus. Entschieden gegen die Zusammenstellung
einer riesigen Klangbatterie,
konzentriert sich seine Musik auf die
Klangvielfalt und Poesie einzelner Instrumente.
In Toucher (1973) für einen
sprechenden Schlagzeuger sucht der Interpret
sieben eigene Instrumente nach
freier Wahl zusammen. Die einzige Vorgabe
ist, dass diese Instrumente klanglich
den Vokalen und Konsonanten des
zu rezitierenden Textes entsprechen
müssen. Darüber hinaus muss der Spieler
durch viele unterschiedliche und
spezielle Spieltechniken (ausschließlich
mit den Händen) die klanglichen Feinheiten
der Sprache umsetzen und seine
Instrumente zum Sprechen bringen. Die
Textgrundlage des Werkes ist die französische
Übersetzung von »Leben des
Galilei« von Bertolt Brecht. Sechs Ausschnitte
sind als einzelne Szenen ohne
chronologische Folge aneinandergereiht
und durch kurze Interludien getrennt.
Der Interpret fungiert also in
Personalunion als Schauspieler, Erzähler,
Betrachter und Schlagzeuger, in
einem rasanten Wechselspiel der verschiedenen
Rollen und Charaktere. Im
Verlauf des Stücks nimmt die Dominanz
der Sprache ab, die Instrumente übernehmen
in den mittleren Szenen die erzählerische
Verantwortung.
Alle Werke dieser Einspielung zeigen
ganz unterschiedliche Facetten des
Schlagzeugrepertoires. Entstanden zwischen
1973 und 2 007, also innerhalb
etwa 30 Jahren unseres jungen Repertoires,
repräsentieren sie ganz individuelle
und persönliche Kompositionen,
deren Entstehungsgeschichte oft verknüpft
ist mit einer intensiven Zusammenarbeit
zwischen Interpret und
Komponist.
Die Schlagzeuger der ersten
Generation, die vielen Meisterwerken
von heute den Weg ebneten, habe reife
Früchte geerntet, die nach unterschiedlichen
Gärungsprozessen den jüngeren
Generationen weitergegeben wurden.
Sie haben uns einen Fundus beschert,
den zu pflegen, stetig weiter zu entwickeln
und durch neue Ideen und
Werke zu bereichern und ergänzen, mit
zu unserer Verantwortung als Interpreten
gehört.
Johannes Fischer
Komponisten
Iannis Xenakis (1922 – 2 001) wurde als
Sohn griechischer Eltern in Rumänien
geboren. Als Partisan während des
2. Weltkriegs verlor er sein linkes Auge
und wurde in Griechenland in Abwesenheit
zum Tode verurteilt. Den Großteil
seines Lebens verbrachte Xenakis in
Frankreich. Nach einem Mathematikstudium
und Kompositionsunterricht am
Pariser Conservatoire arbeitete er als Ingenieur
im Büro des legendären Architekten
Le Corbusier. Xenakis’ Musik ist
stark von seinem Interesse an mathematischen
und akustischen Gesetzmäßigkeiten
geprägt. Stochastische Phänomene
(z. B. Regen, Menschenmassen,
Bienenschwärme) finden sich wieder in
musikalischen Strukturen.
José Manuel López López wurde 1956
in Madrid geboren. Seine Ausbildung
erhielt er in Madrid und Paris. Darüber
hinaus besuchte er Kurse bei Luis de
Pablo, Luigi Nono und Franco Donatoni.
Sein OEuvre umfasst solistische Werke
bis hin zu abendfüllenden Opern sowie
elektroakustische Musik. Der vielfach
mit Preisen ausgezeichnete Komponist
gilt als einer der wichtigsten Vertreter
zeitgenössischer Musik in Spanien und
wird regelmäßig, besonders in Frankreich,
aufgeführt. Seine Werke erscheinen
bei Ricordi und Editions Transatlantique.
Der 1971 im nordrhein-westfälischen
Marl geborene
Matthias Pintscher studierte
Komposition bei Giselher Klebe
und Manfred Trojahn. Prägend waren
auch die Begegnungen mit Hans
Werner Henze, der ihn 1991 und 1992 nach Montepulciano einlud, sowie mit
Helmut Lachenmann, Pierre Boulez und
Peter Eötvös. Er erhielt viele wichtige
Auszeichnungen, darunter den 1. Preis
beim Kompositionswettbewerb Hitzacker
(1992), den Rolf-Liebermann-
Preis, den Prix de Monaco (1999), den
Kompositionspreis der Salzburger Festspiele
sowie 2 002 den Hans-Werner-
Henze-Preis. Seit der Uraufführung
seiner Oper Thomas Chatterton hat er sich
mit bedeutenden Kompositionen für
wichtige Interpreten und Orchester
weltweit einenNamen
gemacht. Seit
2007 ist Matthias Pintscher Professor
für Komposition an der Hochschule für
Musik und Theater München.
Der amerikanische Komponist
Jacob
Druckman (1928 – 1996) wurde in Philadelphia
geboren. Nach seiner Ausbildung
an der Juilliard School studierte er
u.a. bei Aaron Copland in Tanglewood
sowie 1954 / 55 in Paris. Neben elektronischen
Werken schuf er zahlreiche
Werke für Orchester und kleinere Ensembles.
1972 gewann er den Pulitzer-
Preis für sein erstes großes Orchesterstück
Windows. Er lehrte an der Juilliard
School, beim Aspen Music Festival, in
Tanglewood und an der Yale University.
Vinko Globokar (*1934 in Anderny,
Frankreich) ist ein slowenischer Posaunist
und Komponist. Er studierte zunächst
in Ljubljana und später am
Conservatoire
de Paris Posaune bei André
Lafoss und Komposition bei René Leibowitz.
Zwischen 1969 und 1982 gehörte
er neben Michel Portal und Jean-Pierre
Drouet zum Improvisationsensemble
New Phonic Art. Seine Fähigkeiten als
Posaunist schlugen sich nieder in zahlreichen
neuen Werken (u. a. von Luciano
Berio, Maurcio Kagel, Karlheinz
Stockhausen und Louis Andriessen) die
von ihm uraufgeführt wurden. Elemente
des Theaters und der Improvisation
sind wichtige Bestandteile seines
umfassenden und abwechslungsreichen
OEuvres.