Roman Trekel baritone
Oliver Pohl piano
Roman Trekel wird längst zu einem der großen deutschen
Liedinterpreten gezählt. Seine letzte CD
(Schumann-Dichterliebe OC 571) wurde in der Presse
hoch bewertet:
Klassik-heute.com: Dreimal zehn Punkte
„Trekels flexible Baritonstimme ist exzellent geeignet,
Feingesang und Expressivität auch in den Extremen zu
verbinden…“ Pizzicato
„Ein Zyklus schauerlicher Lieder“:
Wilhelm Müller, Franz Schubert
und die Winterreise
Am Ende spielt der Leiermann auf. Drüben,
hinterm Dorfe. Ausgegrenzt und
barfuß in der Kälte dreht er unermüdlich seine
Leier. Hunde knurren um ihn. Nur einer
hält inne und lauscht – der Wanderer. Er ist
es, der in Franz Schuberts Liederzyklus Die
Winterreise D 911 nach Gedichten von Wilhelm
Müller (1794–1827) einsam und ruhelos
durch die Lande zieht. Tatsächlich muss der
Wanderer durch ein Tal stiller Tränen, eher er
auf den alten Mann mit der Drehleier trifft.
Ein Jahr nach Vollendung des Liederzyklus
wird Schubert schwer krank im Alter von
31 Jahren sterben, das Werk wird posthum
veröffentlicht. Die ersten zwölf Gedichte von
Müllers Winterreise vertonte Schubert im Februar
1827. Als Schubert erfuhr, dass Müller
noch zwölf weitere verfasst hatte, kamen im
Herbst desselben Jahres diese hinzu; allerdings
folgte er nicht Müllers Neuordnung
des Zyklus. Im Freundeskreis stellte Schubert
die Lieder vor, ein „Zyklus schauerlicher Lieder“
lautete die Ankündigung.

Ziemlich ratlos waren die Hörer ob der todesdüsteren
und pessimistischen Grundhaltung:
Das hatte es in dieser Konsequenz noch
nicht gegeben. Hier ist zugleich die Bedeutung
von Müllers Gedichten zu suchen, wie
Erika von Borries in ihrer Müller-Biografie
von 2007 ausführt. Denn: „Indem Müller biografische
Elemente, literarische Tendenzen der
Zeit und die dunkle depressive Stimmung nach
den Exaltationen des Revolutionszeitalters und
der Napoleonischen Kriege zusammenschmolz,
entstand ein Kunstwerk, das in seiner welt- und
lebensverneinenden Aussage ohnegleichen ist in
der romantischen Literatur und seine Wirkung
gerade auf den heutigen Leser nicht verfehlt.“
Müllers Winterreise bestimme das „Grundgefühl
der Moderne, die Unbehaustheit des
Menschen in einer erkalteten Welt“, so Borries
weiter. Zwar habe seit Goethes Werther
der Kunstgriff, die eigenen Stimmungen in
die Natur zu projizieren, nichts Originelles
mehr: „Die Naturbilder, die Müller fand, um
die seelische Befindlichkeit seines Wanderers
auszudrücken, sind indes in ihrer naiven Anschaulichkeit
und Expressivität ein Novum.“
Mit Hilfe der Seelenlandschaften gelinge
Müller das Vordringen in bis dahin
unbekannte Bereiche der Psyche. Auch deswegen

schätzte ihn Heinrich Heine sehr; Thomas
Mann wird den Lindenbaum aus der Winterreise
in seinem Zauberberg verewigen.
Zudem vertonten auch Carl Loewe,
Giacomo
Meyerbeer, Fanny Mendelssohn
Bartholdy, Johannes Brahms sowie Reiner
Bredemeyer Verse von Müller. Und Schubert?
Schubert hat mit seiner Vertonung
der Winterreise das von ihm geschaffene romantische
Kunstlied zur Vollendung geführt
– nicht zuletzt wegen der noch konsequenteren
Befreiung des Klavierparts von der bloßen
Begleitung. Tatsächlich wird das Klavier
vielfach zum Träger der Botschaft. Schon im
ersten Lied zieht das lyrische Ich im Wanderrhythmus
so fremd aus, wie es zuvor eingezogen
war – die Liebe unerfüllt und „der Weg
gehüllt in Schnee“.
Auch Gefror’ne Tränen, Rast oder Einsamkeit
sind vom Wanderrhythmus geprägt.
Zudem schärft Schubert mit Dur-Moll-Kontrasten
den Widerspruch zwischen Traumwelt
und Erinnerung einerseits und dem Hier
und Jetzt andererseits (so in Gute Nacht, Der
Lindenbaum, Rückblick oder Frühlingstraum).
Seufzermotive durchziehen wiederum das
erste, zehnte, zwölfte und sechzehnte Lied.
Makaber entlarvt hingegen ein Trauerzug das
Wirtshaus als Totenacker, noch dazu hört der
Musikwissenschaftler Thrasybulos Georgiades
hier das Kyrie des gregorianischen Requiems.

Wenn im Irrlicht mit dem letzten Wort
„Grab“ erstmals nicht nur angedeutet der
Tod thematisiert wird, so hilft Schubert mit
fallenden Quarten und Quinten nach. Schon
lange zuvor symbolisierten diese Intervalle
häufig Tod und Transzendenz, insbesondere
in der russischen und deutschen Musik lässt
sich diese Semantik bis heute belegen; generell
weist Schuberts Liederzyklus weit in die
Zukunft. So ist die Begleitung zu Letzte Hoffnung
mit den fallenden Staccato-Terzen ohne
stabile Tonart-Bindung bereits impressionistisch
gefärbt. Die letzten fünf Lieder schließlich
sind mitunter derart reduziert gehalten,
dass man sich schon weit im 20. Jahrhundert
wähnt. Diese Kargheit kulminiert im finalen
Leiermann, mit dem Doppelgänger aus dem
Schwanengesang D 957 Schuberts „leerste“
Musik überhaupt.
Mit Seufzervorschlägen eingeleitete Quinten
dominieren, monoton sind Dynamik
und Ausdruck gehalten. Nichts bewegt sich
hier, alles klingt hohl und leer, Dur und Moll
lösen sich in den Quinten auf – und damit
zugleich der bis hierhin dramaturgisch so
bedeutsame Widerspruch von Traum und
Wirklichkeit. Denn im Angesicht des Todes
hebt sich alles auf: In Schuberts Vertonung
ist der Leiermann niemand anderer als der
Tod. „Wunderlicher Alter, soll ich mit dir
geh’n?“, fragt ihn der Wanderer. „Willst zu
meinen Liedern deine Leier dreh’n?“ Auf
dem hohen Quintton bricht der Sprechgesang
ab, die Frage verhallt in der Ödnis.
Marco Frei