ür seine lang ersehnte zweite CD nach dem fulminanten
Debüt von 2006 hat sich der Pianist Herbert
Schuch etwas Besonderes ausgedacht: Franz Schuberts
Klaviersonaten D 894 und 537 stoßen auf zwei Werke
des bedeutenden Komponisten Helmut Lachenmann,
der vor zwei Jahren seinen 70. Geburtstag beging.
Es sind nicht zuletzt Lachenmanns Fünf Variationen
über ein Thema von Franz Schubert von 1956 (nach
dem Deutschen Tanz cis-moll D 643/1 von 1819), die
Schuberts große Bedeutung für die neue Musik offenbaren.
Wie Lachenmann erklärt, sei sein Frühwerk vorwiegend
von Arnold Schönberg und dem späten Igor
Strawinsky geprägt, wobei der tänzerische Charakter
von Schuberts Original erhalten geblieben sei – „wenn
auch immer anders gebrochen“. Dagegen wird das
Klavier in Lachenmanns Guero von 1970 zum Schlagund
Zupfinstrument, bei dem selbst die Tasten und
Saitenwirbel integriert werden. Doch das alles höchst
kunstvoll, wie bei Schubert bleibt nichts Selbstzweck.
Schubert – Lachenmann
Wir kommen zu unsern Lieblingen, den
Sonaten von Franz Schubert, den Viele
nur als Liedercomponisten, bei Weitem die
Meisten kaum dem Namen nach kennen.” –
So eröffnet Robert Schumann 1835 seine verspätete
Rezension jener drei Klaviersonaten,
die überhaupt zu Schuberts Lebzeiten im
Druck erschienen: a-Moll (D 845), D-Dur
(D 850) und G-Dur (D 894). Ohnehin wurden
Schuberts Instrumentalkompositionen
erst spät veröffentlicht – sein Streichquintett
C-Dur (D 956) kam im Jahre 1863 heraus,
die »unvollendete« Sinfonie h-Moll (D 759)
gar erst 1867. Von den insgesamt 23, teilweise
nur Fragment gebliebenen Klaviersonaten
wurde nicht weniger als ein Drittel erst im
Rahmen der »Alten Gesamtausgabe« 1888
und 1897 vorgelegt.
Nachdem sich Schubert bereits während
seiner frühen Jugend an Werken für Klavier
zu vier Händen versucht hatte, widmete er
sich erst vergleichsweise spät der Komposition
von Klaviersonaten. Die zwischen 1815 und
1819 entstandenen Werke dieser Gattung,
die teilweise in mehreren Fassungen vorliegen
oder auch abgebrochen wurden, dokumentieren
dabei ein Suchen nach neuen
Konzepten und einer verbindlichen Form
des mehrsätzigen Zyklus in einem komplexen
Spannungsfeld: auf der einen Seite die zeitgenössische
Produktion überhaupt, in Wien
vor allem repräsentiert durch Beethoven (mit
Erscheinen der Hammerklaviersonate op. 106
setzt bei Schubert bemerkenswerterweise
eine mehrjährige Pause in dieser Gattung
ein), auf der anderen Seite der als verbindlich
empfundene ästhetische Hintergrund,
wie ihn 1789 Daniel Gottlob Türk in seiner
verbreiteten Klavierschule formulierte: „Die
Sonate verdient unter den Tonstücken, welche
für das Klavier bestimmt sind, wohl mit dem
mehrsten Rechte die erste Stelle. […] Folglich
setzt diese Gattung von Instrumentalstücken
einen vorzüglichen Grad der Begeisterung, viel
Erfindungskraft und einen hohen, fast möchte
ich sagen musikalisch-poetischen, Schwung der
Gedanken und des Ausdruckes voraus.“
Die Sonate a-Moll (D 537) entstand 1817
zu jener Zeit, als Schubert mit Franz von
Schober eine Wohnung teilte und offenbar
ein passables Instrument zur Verfügung hatte.
Seine Begeisterung für die Klaviersonate
spiegelt sich in der raschen Vollendung von
insgesamt sechs Werken wider, die vielleicht
sogar – einem alten, sich aber zu Beginn
des 19. Jahrhunderts auflösenden Usus nach
– als Sammlung gedacht waren; die von
Schubert selbst vorgenommene Zählung
jedoch ist nicht durchgehend und hinterlässt
einen verwirrenden Eindruck. Vieles, was
in den späteren Sonaten so charakteristisch
für Schuberts Tonfall und Komponieren
erscheint, ist in diesem Werk schon vorgeprägt:
die verstörenden Abbrüche melodischer
Linien, die bisweilen ausbrechende
Schärfe der Harmonik, die von trügerischer
Leichtigkeit getragene Melancholie sowie
eine zwischen kantabler Oberstimme (oft
in Oktaven) und begleitender linker Hand
differenzierende Faktur. Es mag also kein
Zufall sein, dass Schubert das wundervoll
in sich ruhende Thema des zweiten Satzes
elf Jahre später nochmals dem Finale seiner
Klaviersonate A-Dur (D 959) zugrunde legte.
Auch später noch versuchte Schubert
wiederholt, Sonaten zu Zyklen zusammenzufassen.
Gelungen ist ihm dies mit der
Trias aus den letzten Monaten seines Lebens
(D 958, D 959 und D 960), doch auch die
Werke aus den Jahren 1825/26 zeigen sein
Bestreben, größere Einheiten zu bilden. So
hat er die Sonate G-Dur (D 894) vom
Oktober 1826 im Autograph als IV. Sonate
bezeichnet. Im Druck erschien das Werk
allerdings unter dem Titel Fantasie, Andante,
Menuetto und Allegretto op. 78 – die ungewöhnliche
Bezeichnung nach den einzelnen
Sätzen ist dabei dem nahezu zeitlos in
sich kreisenden, in Klangflächen aufgebauten
Kopfsatz geschuldet. Das abschließende
Rondo, in dem die Tonrepetitionen aus dem
rustikalen Scherzo wiederkehren, gibt sich
nur oberflächlich heiter, denn es finden sich
auch schattenartige Eintrübungen. So heißt
es auch bei Franz von Hartmann in einem
Tagebucheintrag vom 8. Dezember 1826,
als das Werk in der Wohnung bei Josef von
Spaun erstmals erklang: „Dann kam Schubert
und spielte ein herrliches, aber melancholisches
Stück von seiner Komposition.“
Welch zukunftsweisendes Potenzial
Schuberts Musik in sich birgt, ist an den
zahlreichen kompositorischen Reflexionen
abzulesen, die vor allem in der zweiten Hälfte
des 20. Jahrhunderts entstanden. Zu ihnen
gehören auch die Fünf Variationen über
ein
Thema von Schubert (1956) von Helmut
Lachenmann – ein Frühwerk über den gerade
einmal 16 Takte umfassenden Deutschen
Tanz cis-Moll (D 643/1) aus dem Jahre 1819.
Der besondere Reiz der Veränderungen
besteht vor allem darin, dass sie, obwohl in
der Ausarbeitung von Techniken Schönbergs
und des späten Strawinsky geprägt, dem
spielerischen Element und tänzerischen
Charakter des Themas treu bleiben. „Noch
nicht ausgeprägt ist hierin der Widerstand gegen
Tradition, insofern deren Kategorien als herrschende
Konventionen jenen zuvor erwähnten
bürgerlichen Verdrängungsmechanismen unterstellt
sind.“ (Helmut Lachenmann, 1989).
Die Komposition der graphisch notierten
Komposition Guero (1969) geht
auf eine Anregung des Pianisten Alfons
Kontarsky zurück, als dieser eine Sammlung
mit kurzen Klavierstücken zusammenstellte,
denen neue Spieltechniken zugrunde
liegen sollten. Lachenmann verwandelt
dazu den Flügel als Requisit bürgerlicher
Kultur in ein schnarrendes lateinamerikanisches
Rhythmusinstrument. Die auf den
Tastenflächen, Wirbeln, Saiten erzeugten
Geräusche bieten dabei nicht nur eine
Herausforderung für den Pianisten, sondern
sind auch als „eine Studie für den Hörer“ zu
verstehen.
Michael Kube