Jacques Offenbach:
Pariser Leben
Johann Strauß:
Die Fledermaus, Eine Nacht in Venedig, Der Zigeunerbaron
Carl Zeller:
Der Vogelhändler
Franz Lehár:
Die Lustige Witwe, Der Graf von Luxemburg, Das Land des Lächelns
Emmerich Kálmán:
Die Csárdásfürstin, Gräfin Mariza
Mörbisch Festival Orchestra · Mörbisch Festival Choir
Rudolf Bibl, conductor
50 Jahre Seefestspiele Mörbisch – dieses Jubiläum begleitet OehmsClassics mit einer Sonderpreis-Box mit zehn der erfolgreichsten Mörbischer Operettenproduktionen der letzten Jahre. Stets Garant für musikalische Qualität und echten Operettencharme sind und waren der Intendant, Harald Serafin, der in einigen Fällen auch selbst in einer Gesangsrolle zu erleben ist, sowie Maestro Rudolf Bibl, Ehrenmitglied der Wiener Volksoper und international gefragter Dirigent für das Repertoire der Strauß-Dynastie. Unmittelbar teilen sich die Freude und das Engagement eines Sängerensembles mit, das durch die Einbeziehung zahlreicher junger Sänger besondere Energie und Spontaneität gewinnt. Jahr für Jahr sind die Seefestspiele Mörbisch der Anziehungspunkt für Operettenfans schlechthin. 200.000 Besuchern pro Saison machen das Burgenland zum Operetten-Mekka.
Das Festival der Operette
SEEFESTSPIELE MÖRBISCH
INTENDANT HARALD SERAFIN
FESTIVAL ORCHESTRA MÖRBISCH · MÖRBISCH FESTIVAL CHOIR
RUDOLF BIBL, Dirigent / conductor
„Mein Mörbisch“
Intendant kann man bekanntlich nicht lernen,
Intendant kann man werden und dann schauen, dass aus der Berufung ein Beruf wird. Im Nachhinein, also nach fünfzehn Jahren Intendanz weiß ich, was für mich und meinen Weg von entscheidender Bedeutung war. Es war natürlich gut, dass ich eine jahrzehntelange
Theater-Erfahrung als Sänger hatte, natürlich war es gut, dass ich mit vielen
erstklassigen Dirigenten und Regisseuren gearbeitet habe, aber das allein hätte nie und nimmer gereicht. Der Dreh- und Angelpunkt meiner Arbeit ist meine leidenschaftliche Liebe
zur Operette und meine felsenfeste Überzeugung,
dass man sie mit aller Kraft und den allerbesten Kräften hegen und pflegen muss. Dazu kommt mein Temperament, meine unbändige
Freude auf jeden neuen Tag, auf jede neue Herausforderung. Deshalb gab und gibt es nichts, was mich nicht interessiert.
Mir wurde der kleine Ort Mörbisch „geschenkt“,
um aus dieser kleinen Seebühne ein Festival von Rang zu schaffen – für das Genre,
das mir am meisten am Herzen liegt – die wunderbare klassische Operette! Dafür ist mir keine Mühe zu groß, keine Fremdenverkehrsmesse
zu weit. Ich besuche Messen, um für „meine“ Operette zu werben und zu trommeln, ich gebe Interviews, wann immer man mich darum ersucht, keine Zeitung ist mir zu klein, kein Medium zu unbekannt. Ich schaue immer nach vorn, will immer noch mehr, kümmere mich auch um das kleinste Detail, der status quo ist mir nie genug, alles ist in Bewegung, und ich will es in Bewegung halten – die Operette
ist, meine Berufung, mein Leben – und was für ein Leben!
Wenn es um „meine“ Operette geht, ist mir nichts Last, ich tue alles dafür, um ihr immer noch mehr Zuschauer zu bescheren. Ich lasse
mit erstklassigen Sängern Operetten produzieren,
die – was einmalig ist auf der Welt, immer auch auf CD und DVD erscheinen – mit einem großen und großartigen Ballett, mit international erfahrenen Künstlern, die Regie führen, einem überragenden Bühnenbild, opulenten
Kostümen, ausgezeichneter Licht- und Tonregie, Mikrophonen auf höchstem internationalen
Niveau und einer hervorragenden musikalischen Leitung.
All das zusammen hat dafür gesorgt, dass sich in den letzten 15 Jahren die Zuschauerzahlen mehr als vervierfacht haben – und mein Mörbisch von den Medien den Ehrentitel „Mekka der Operette“ erhielt!“
Harald Serafin
Harald Serafin
Intendant
Harald Serafin ist am 24.12.1931 in Litauen
geboren. Seine Mutter stammt aus Salzburg, sein Vater aus Italien. Nach der Flucht aus Litauen wächst Harald Serafin in Bamberg/Bayern auf. Nach acht Semestern Medizinstudium entscheidet er sich für den Sängerberuf. Seine Lehrer sind Prof. Wilhelm Schönherr und der große Kammersänger Willi Domgraf-Fassbaender.
Erste Engagements erhält Serafin in Aachen, Bern, St. Gallen, Ulm und Zürich. Der berühmte Regisseur und Schauspieler Otto Schenk erkennt Serafins spezielles Talent und bringt ihn auf den richtigen Weg: Harald Serafin wird der „singende Bonvivant der Operette“!
1970 sucht das Theater an der Wien einen Nachfolger für Johannes Heesters als Danilo in der Lustigen Witwe. Prof. Rolf Kutschera, damals Intendant des Theaters an der Wien, findet in Serafin seinen neuen Danilo. Das Theater
an der Wien wird nun neben der Volksoper Wien seine neue künstlerische Heimat. Er steht als Danilo 1700 mal auf der Bühne und schreibt mit seiner Darstellung Operettengeschichte.
Es folgen viele Auftritte im Film und Fernsehen
im In- und Ausland, Konzertreisen nach Amerika und Japan und diverse Platteneinspielungen.
Jerome Savary bestand auf Harald Serafin als Raoul in Pariser Leben in Frankfurt und auf seinen Danilo in der Lustigen Witwe an der Volksoper Wien.
„Jede Zeit hat ihren Danilo, der unsrige heißt ab heute Serafin!“ schrieb damals „Die Presse“. Die New York Times bezeichnet ihn als „Walter Matthau der Wiener Operette“ und Ginger Rogers meinte nach einem Londoner
Konzert, Serafin sei ein „wienerischer Maurice Chevalier“.
Im Jahr 1985 wird Harald Serafin der Berufstitel
„Kammersänger“ verliehen.
1989 muss sich Serafin einer Stimmband-operation unterziehen, eine Zäsur in seiner Sängerkarriere.
1992 wird ihm die Intendanz der Seefestspiele
Mörbisch angeboten – ein Traum, den
er schon lang geträumt hatte: „Träume erfüllen
sich nicht von heute auf morgen. Aber man muss sie träumen, damit sie irgendwann Realität werden!“
Aus der kleinen Mörbischer Bühne macht Serafin im Laufe der Jahre die größte Seebühne der Welt und ein weltweit anerkanntes Festival der klassischen Operette. Dieser Traum ist im Jahre 2007 fünfzehn Jahre alt, und schon längst ist aus Mörbisch das „Mekka der Operette“ geworden: Großangelegte Zu- und Umbauten werden unter Serafins Leitung getätigt, er lässt den Zuschauerraum kontinuierlich auf 6.400 Plätze erweitern, das bedeutet jährlich mehr als 200.000 Zuschauer, Ton- und Lichtanlagen werden auf den international optimalen Stand gebracht. Dazu kommt Serafins untrügliches Gespür für junge, unverbrauchte Stimmen, für attraktive Darsteller, die zu Publikumslieblingen
werden. Seine PR-Begabung und sein Geschäftssinn
sind sprichwörtlich. Harald Serafin hat sich dafür stark gemacht, dass alle Produktionen
der Seefestspiele Mörbisch auf CD aufgenommen werden und weltweit vertrieben werden, was in der heutigen Zeit einzigartig ist.
Serafins komisches Talent als Schauspieler
für die Bühnen der Kammerspiele und des Theaters in der Josefstadt wird von Felix Dvorak
und Otto Schenk entdeckt. Mit „Moral“ von Ludwig Thoma bei den Berndorfer Sommerspielen
1992, „Trau keinem über 60“ von Gunther
Beth und „Der Mann, der sich nicht traut“ von Curth Flatow erntet Serafin Beifallsstürme.
1998 holt ihn Helmuth Lohner wieder an die Kammerspiele und mit „Nur keine Tränen,
Liebling“ von Norman Brasch und Carroll
Moore und „Beste Freunde“ von William Douglas Home geht die schauspielerische Erfolgsgeschichte Harald Serafins weiter.
Seine Tochter Martina aus Serafins erster
Ehe mit der Volksopernsängerin Mirjana Irosch ist auf dem Weg zur Weltkarriere, und Sohn Daniel aus der Ehe mit seiner jetzigen Frau Ingeborg „Mausi“ Serafin studiert ebenfalls
Gesang und steht mit seinem schönen Bariton noch am Beginn seiner Karriere.
Nach 13 Jahren Unterbrechung seiner sängerischen Laufbahn steht er seit 2004 wieder auf der Bühne der Wiener Volksoper: als Beaubuisson im Opernball von Richard Heuberger und als Delacqua in Eine Nacht in Venedig von Johann Strauß.
Mit diesen vom Publikum bejubelten Rollen
ist der Umstieg ins Fach des „Komischen Alten“ gelungen. Auch in Mörbisch steht Serafin
in diversen Rollen dieses Fachs auf der Bühne.
„Der Gesang und die Musik haben es mir ermöglicht zu werden, was ich immer sein wollte – ein freier Mensch!“
Harald Serafin – Auszeichnungen:
1985 | Verleihung des Berufstitels „Kammersänger“ |
1995 | Verleihung des Titels „Professor“ durch Bundespräsident Dr. Thomas Klestil |
1996 | Verleihung des „Komturkreuzes“ durch den burgenländischen Landeshauptmann
Karl Stix |
1999 | Verleihung des „Goldenen Ehrenzeichens
für Verdienste um das Land Wien“ |
2001 | Verleihung des „Ehrenkreuzes für Wissenschaft
und Kunst I. Klasse“ |
2006 | Verleihung der Ehrenmitgliedschaft der Volksoper Wien |
2006 | Verleihung des Wiener Rathausmanns |
Rudolf Bibl
Musikalische Leitung
Geboren in Wien als Enkel eines Wiener Hofkapellmeisters – und selber das, was man im besten Sinne des Wortes Dirigent der „alten Schule“ nennt. Klavierspielen und Dirigieren

erlernte er in Wien, die Praxis erwarb er als Kapellmeister in Innsbruck, Graz und Trier. Seit 1973 ist er Hauskapellmeister der Wiener Volksoper und weltweit gefragter Maestro im Repertoirebereich Operette und Strauß-Dynastie.
1989 Ehrenkreuz für Kunst und Wissenschaft
1. Klasse. Seit 1991 Ehrenmitglied der Wiener Volksoper und 1999 Auszeichnung mit dem silbernen Ehrenkreuz der Republik Österreich. Seit 1995 musikalischer Leiter der Seefestspiele Mörbisch und Gründer des Symphonie-Orchesters Burgenland. In letzter Zeit: Fledermaus an der Berliner Staatsoper u. Die Lustige Witwe und Fledermaus an der Opéra Bastille Paris. Im Herbst 2005 standen wieder eine Produktion in Graz und im Jänner 2006 sechs Konzerte mit dem NHK-Orchester in Tokio auf dem Programm.
Mit Temperament, Virtuosität
und Lebensfreude –
Das Mörbischer Operetten-Mekka
in Höchstform
Für die 50-jährige Erfolgsgeschichte der Seefestspiele Mörbisch mögen viele Namen
stehen, doch keiner hat sich um das Traditionsfestival so verdient gemacht wie Kammersänger Prof. Harald Serafin. Mit dem Beginn seiner Intendanz im Jahr 1992 nahm ein wirtschaftlicher und künstlerischer Aufschwung
sondergleichen seinen Lauf. Rasch schnellten die Zuschauerzahlen in ungeahnte Höhen. In den vergangenen Jahren kamen jeden Sommer bis zu 220.000 Besucher an den Neusiedlersee.
Serafins erste Tat dort war, die Stechmücken
zu vertreiben. Er benutzte dazu keine Chemie, sondern ließ deren Brutstätten kurzerhand
zubetonieren. Als nächste Maßnahme
wurde ein neuer Raum gebaut, in dem das Orchester während der Aufführungen spielt – heute bekannt als „Serafins Badewanne“. Außerdem verfügt man nun in Mörbisch über eine großartige technische Anlage, die die elektroakustisch verstärkten Singstimmen mit dem Orchesterklang perfekt abmischt. Schließlich musste der Zuschauerraum erweitert
werden, um die gestiegenen Kartenwünsche
befriedigen zu können. Die Tribüne bietet jetzt 6.200 Operettenfans Platz.
Da Serafin aus einem Geschäftshaushalt stammt und in Sachen PR und Marketing einige Erfahrungen am Broadway sammeln konnte, wusste er von Anfang an, worauf es ankommt: Er ist nämlich vor allem ein Intendant
zum Anfassen. In Mörbisch begrüßt er das Publikum schon beim Einlass. Die Leute wissen, dass er für die Qualität der Aufführungen
persönlich bürgt. Schließlich braucht gerade die notorisch unterschätzte Operette Darsteller mit großer Persönlichkeit, bezauberndem
Charme und hinreißender Stimme.
Kurz gesagt: Ohne das Multitalent Harald Serafin wäre Mörbisch nicht das, was es heute
ist – das weltweit größte und erfolgreichste Operettenfestival. Unter seiner Leitung entstand
ein echtes „Operetten-Traumland“. Und wie man an den enthusiastischen Reaktionen
des Publikums ablesen kann, ist die viel diskutierte Erneuerung dieser Kunstform gar nicht notwendig. Denn die Operette lebt vom Kitsch. Kitsch geschmackvoll und intelligent
zu zeigen ist sehr, sehr schwierig und bedarf höchster Virtuosität. Aber in Mörbisch gelingt das, und zwar schon seit 1957.
Die vorliegende Jubiläums-CD-Box bietet
die Möglichkeit, einen Großteil der Produktionen
der vergangenen 15 Jahre Revue passieren zu lassen. Sie ist damit nicht nur ein klingendes Dokument der Ära Serafin, sondern hält den lebendigen Umgang mit dem Genre Operette an der Wende vom 20. zum 21. Jahrhundert fest.
* * *
Offenbachiade par excellence:
Pariser Leben
Noch Kurt Weill war von Offenbach „einfach
erschlagen ... vom dem Reichtum an parodistischen Einfällen“, der „ernste Inhalte … in ihrer schärfsten Prägnanz erscheinen lässt“. Und in der Tat hat keiner gesellschaftliche
Verhältnisse so zum Hüpfen gebracht wie der am 20. Juni 1819 in Köln geborene Jacques Offenbach. Niemand pumpte so viel schäumende Lebendigkeit in erstarrte Zeiten wie er ins Seconde Empire unter Louis Napoleon
III. So waren die Jahre zwischen 1855, als der Komponist sein Theaterunternehmen, die Bouffes Parisiens, gründete, bis zum Ende des Zweiten französischen Kaiserreichs 1870 die eigentliche Hochzeit in Offenbachs Schaffen.
Damals, in den Geburtsjahren seines satirischen
Musiktheaters, entstanden die Operetten-
Welterfolge Orpheus in der Unterwelt, Die schöne Helena und Pariser Leben.
Grundlage dafür war eine früh bei Offenbach
ausgeprägte Beobachtungsgabe von Menschen, denen er begegnete. Sie befähigte ihn, immer neue, vor Esprit berstende Operetten
mit gesellschaftskritischen Momenten zu komponieren. Über 100 solcher „Offenbachiaden“
stammen aus seiner Feder. Neben Pariser Leben zählen Blaubart und Die Großherzogin von Gerolstein zu den bekanntesten. Trotz der bisweilen sehr deutlichen Anspielungen auf die intrigante und korrupte Pariser Gesellschaft
waren die „Offenbachiaden“ wahre Publikumsrenner
– selbst bei denen, die gebrandmarkt
werden. Wenn Kritik humorvoll verpackt und mit zündenden Melodien garniert ist, lässt sie sich eben leichter schlucken…
Pariser Leben – Die Handlung
Wir befinden uns in der französischen Hauptstadt
um das Jahr 1866 herum, also in der Entstehungszeit des Werks. Der Bahnhof von Trouville ist der Ausgangspunkt eines Spiels um Verwirrung, Liebe, Erotik und Rache. Zwei junge Pariser Lebemänner, Raoul de Gardefeu und Bobinet Chicard, warten jeder für sich auf die schöne Metella. Doch die attraktive Edelkokotte erscheint am Arm eines neuen Freiers und zeigt an den beiden Herren nur wenig Interesse. Da beschließen Raoul und Bobinet in die vornehmen Salons zurückzukehren,
zu den „Damen von Welt“. Das kommt billiger… Gardefeu wittert sogleich eine Gelegenheit:
Er hofft auf ein Abenteuer mit der schottischen Lady, die eben mit ihrem Mann Lord MacDonald angereist ist. Beiden bietet er sich erfolgreich als Fremdenführer an. Immer mehr Reisende aller Nationen und von allen Kontinenten strömen zusammen. Dazu zählt ein reicher Brasilianer, der alljährlich den Ozean überquert, um sein Geld hemmungslos im Pariser
Nachtleben zu verschleudern.
Lord und Lady glauben, sie seien in der Dependance des Grand Hotels untergebracht. Doch Gardefeu hat das Paar – nicht ohne Hintergedanken – in seinem eigenen Haus einquartiert. Damit es die Gäste nicht merken, lässt er einige Handwerker, darunter den Schuster Frick und die Handschuhmacherin Pauline, mit ihren Freundinnen und Freunden kommen. Als Lord und Lady MacDonald zum festlichen Mahl erscheinen, lernen sie zu ihrem Erstaunen eine seltsame Gesellschaft kennen. Doch wird ihnen erklärt, das sei die typische „High Society“ von Paris. Und dabei soll diese Table d’hôte nur ein Vorgeschmack sein auf die gesellschaftlichen Delikatessen des nächsten Abends! Gardefeu hat dem Lord nämlich eine Einladung ins Haus eines Admirals
verschafft. Ihm allein, ohne die Gattin, die bei der erlesen gemischten Geselligkeit sicher hinderlich wäre…
Die Haute volée, die der Lord vorfindet, ist von verwirrender Eleganz – und sehr außergewöhnlich.
Mit einiger Verspätung erscheint nun auch Bobinet, als gastgebender Admiral verkleidet, beim Fest. Schnell ist die ganze Gesellschaft berauscht: vom Champagner, von der Musik, der Oper … und der Magie dieser Stadt. Währenddessen steuern die Feierlichkeiten
in Paris auf ihren Höhepunkt zu. Der reiche Brasilianer lädt zu einem Masken
ball ins Café Anglais, wo die Chefin Madame de Bonichon weiß, worauf es ankommt!
Inzwischen ist es Mitternacht geworden, und die viel begehrte Metella macht sich Gedanken über die Nächte und die Liebe in Paris. Das Fest des Brasilianers ist in vollem
Gange: Er und die Handschuhmacherin haben sich gefunden. Doch rundum gibt es amouröse Verwicklungen, Enttäuschung und Missverständnisse: Der Lord, der hinter all die Possen gekommen ist, die man ihm vorgespielt
hat, will sich mit Raoul de Gardefeu duellieren. Mit Rafinesse und Diplomatie gelingt
es Madame de Bonichon jedoch, alles in Champagnerlaune aufzulösen… Dem Zauber von Paris widersteht nun mal keiner!
Gerade für Jacques Offenbachs Pariser Leben
trifft die weise Erkenntnis des Literaturwissenschaftlers
Volker Klotz voll und ganz zu: „Wo die Operette den Alltag nicht in die Ferne entrückt, muss sie ihn an Ort und Stelle verrücken.“ Der besondere Witz des am 31. Oktober 1866 im Théâtre du Palais Royal in Paris uraufgeführten Stücks besteht darin, ein schiefes schönes Fernbild der Stadt mit einem nicht ganz so schiefen, aber immer noch schönen Nahbild zu kreuzen: Wie sehen und erleben Fremde ihr mitgebrachtes Klischee vom prachtvollen, weltläufigen, verworfenen Pariser Leben? Und wie führen und erleben es die Einheimischen selbst? Dieser Doppelperspektive
folgt das Textbuch von Henri Meilhac und Ludovic Halévy.
Offenbach feiert in seiner Musik den menschlichen Elan vital an sich. „Selbst im Sterben werde ich noch eine Melodie unter der Feder haben…“, versprach der Komponist folgerichtig und hielt – kurz vor seinem Tod am 5. Oktober 1880 – mit der „ernsthaften“ Oper Hoffmanns Erzählungen wirklich Wort.
* * *
Alle Schuld ist vergeben:
Die Fledermaus
Mit seiner Fledermaus ist Johann Strauß dem Offenbach’schen Vorbild so nahe gekommen wie kein anderer. Schon das Libretto
greift auf dramaturgische Verfahren des Pariser Lebens zurück, wandelt sie aber fürs eigene Geschehen geschickt ab. Man denke vor allem an das irrwitzige Trugspiel mit Maskerade und Rollenwechsel. Zudem stammt die französische Vorlage Le Réveillon aus der Feder des Pariser Leben-Autorengespanns
Meilhac und Halévy. Der Direktor des Theaters an der Wien, ein cleverer Ungar
namens Max Steiner, spekulierte darauf, dass ein Stück von diesen mit allen Wassern gewaschenen Metier-Artisten auch in Wien erfolgreich sein werde.
Daher erwarb er das Textbuch für sein Haus. Schließlich gab er es an den Tagespossenschreiber
des Carl-Theaters, den paradoxerweise
aus dem ostpreußischen Königsberg
stammenden Carl Haffner und dessen westpreußischen Landsmann Richard Genée aus Danzig weiter, der als Kapellmeister, Komponist
und Librettist seit 1868 in Wien lebte. Was diese beiden mit Réveillon anstellten, wurde zum besten Textbuch, das Strauß jemals
in die Hand bekam. Alle Bedenken, die er früher gegen das Schreiben für die Bühne gehabt hatte, waren wie weggeblasen. Sofort entschloss er sich zur Komposition und zog sich in seiner Hitzinger Villa praktisch von der Welt zurück. Nach 43 Tagen legte er eine Partitur vor, bei der so gut wie jeder Takt den Stempel seiner Persönlichkeit trägt.
Endlich hatte er sich von Jacques Offenbach,
der in Wien einst Triumphe feierte, emanzipiert. Strauß wusste, dass er eine ganz andere Natur war als sein in Frankreich beheimateter
Kollege, dessen frecher, ätzender Spott jenseits seiner Ausdrucks- und Kunstmittel
lag. Sein Ziel war es, als Operettenkomponist
dieselbe Dignität zu erlangen wie als Walzerkönig. Dies war ihm mit der Fledermaus
geglückt.
Die Fledermaus – Handlung
Inhaltlich sind die Fledermaus-Verwicklungen ein Viel Lärm um Nichts des 19. Jahrhunderts. Die Handlung spielt in Wien, wie es sich um 1870 darbot. Vorgeschichte: Der wohlhabende Rentier Gabriel von Eisenstein hat einmal seinen
Freund, den Notar Dr. Falke, hereingelegt, und nun will Falke Schlimmes mit Schlimmerem
vergelten.
Die freiwillig-unfreiwilligen Protagonisten dieses Racheplans sind Eisensteins Stubenmädchen
Adele, seine Ehefrau Rosalinde, deren früherer Verehrer Alfred und der Gefängnisdirektor
Falke. Durch letzteren droht der von langer Hand geplanten Revanche ernstlich Gefahr: Eisenstein muss wegen der
Attacke auf einen Amtsdiener eine Gefängnisstrafe
absitzen, die durch die Ungeschicklichkeit
des Advokaten Dr. Blind noch erhöht worden ist. Da muss sich der Rächer Falke gleich selbst herbemühen, um seinen Gast am fristgemäßen Antreten der Haft zu hindern,
indem er ihm plausibel macht, dass es „für seine Gesundheit“ nötig sei, sich vorher noch eine Nacht lang zu zerstreuen. Weil Eisenstein nicht zum Gefängnis kommt, muss sich das Gefängnis zu Eisenstein bemühen. Auf dem heimischen Sofa findet Frank, der auch zum „Rache-Souper“ eingeladen ist, den vermeintlichen Hausherrn im Tête-à-Tête mit Rosalinde. Alfred macht gute Miene zum bösen Spiel…
Im Gartenpalais des Prinzen Orlofsky ist der Ball bereits im vollem Gange. Adele lässt sich als große Schauspielerin einführen, und Eisenstein stellt sich als Marquis Renard vor. Sogar der Gefängnisdirektor ist als Chevalier Chagrin anwesend. Zudem wartet Dr. Falke mit einem erlauchten Gast auf: Er führt Rosalinde
in der Maske einer ungarischen Gräfin in die Gesellschaft ein, die sogleich Eisensteins ganze Aufmerksamkeit auf sich zieht. Nicht ahnend, wen er vor sich hat, umgarnt er die vermeintliche Gräfin, der es – zwecks späterer
Überführung – gelingt, ihm eine schon bei früheren Liebesaffären vielfach bewährte Repetieruhr
abzuluchsen. Nach überreichlichem Champagner-Genuss müssen sich Eisenstein alias Rénard und Frank alias Chagrin auf dem Kulminationspunkt des Taumels gegenseitig stützen. Die Standuhr – von Falke heimlich vorgestellt – schlägt sechs und mahnt zur bevorstehenden Haftstrafe. Eiligst brechen sowohl Gefängnisdirektor Frank als auch Eisenstein
auf getrennten Wegen zum gleichen Ziel auf: dem städtischen Kittchen.
Dort spielt der letzte Akt. Zu dem Gefängnisaufseher
Frosch und dem noch einsitzenden
Alfred gesellen sich der von der durchzechten
Nacht sichtlich gezeichnete Frank, dann – von Ida begleitet – Adele. Sie bittet Frank um Protektion bei ihrem Bemühen, sich aus den Diensten der Eisensteins zu lösen, um eine Schauspielkarriere einzuschlagen. Rosalinde
kommt, um Alfred zu besuchen, und dieser
hat einen Rechtsbeistand angefordert, um aus der misslichen Lage befreit zu werden: So ist auch Dr. Blind unterwegs. Der zum Strafbeginn
eintreffende Eisenstein muss erfahren, dass schon ein anderer „Eisenstein“ einsitzt. Hellhörig geworden, verkleidet er sich als Advokat Blind und erfährt von Alfred und Rosalinde, was vertuscht werden soll. Seine Eifersuchtsschreie verstummen jedoch jäh, als die „ungarische Gräfin“ das corpus delicti, die einbehaltene Uhr, vorzeigt. Schließlich erscheint,
von Falke und Orlofsky angeführt, die übrige Ballgesellschaft, die inzwischen in die Rache-Absichten Falkes eingeweiht wurde. Alles war also abgekartet, und auch der Flirt mit Alfred wird nachträglich miteinbezogen – Generalamnestie eben. Gabriel drückt seine Rosalinde ans gutgläubige Herz: „… nur der Champagner war an allem schuld.“
Wie der Champagner zum Ersten aller Weine, wurde die am 5. April 1874 im Theater an der Wien uraufgeführte Fledermaus zur Ersten aller Operetten gekrönt. Kein Geringerer als Gustav Mahler, der sie gar als „komische Oper“ bezeichnete, hat in ihr die vollendete Musikkomödie erkannt. Dieses höchste Lob für ein Bühnenwerk der leichten Muse gilt der idealen Übereinstimmung von Text und Musik: Jede Musiknummer ist der Ausdruck der Situation und zugleich eine perfekte Charakterschilderung.
Die geniale Konzentration von Fröhlichkeit und Lebensfreude, wie sie der Komponist in die Fledermaus gepackt hat, ist nie wieder erreicht worden.
Durch seine stets melodienreiche, heitere und manchmal von einer ganz ursprünglichen Komik geprägte Musiksprache erweckt er Charaktere zum Leben, die auf dem Papier des bloßen Librettos fast schäbig wirken: Eisenstein ist jähzornig und liederlich, Rosalinde
spielt mit dem Feuer des Ehebruchs, Falke dürstet nach Rache, Orlowsky wirkt ausschweifend und blasiert. Strauß hat alle mit seiner musikalischen Farbe versehen und ihnen damit nicht nur Leben eingehaucht, sondern quasi vor sich selbst gerettet. Das Happy End könnte nicht ungetrübter sein: Kein einziger Unsympath bleibt übrig, alle Schuld ist vergeben.
* * *
Getäuschte Täuscher:
Eine Nacht in Venedig
Unter Strauß’ 16 originalen Bühnenwerken waren es drei, die der gesamten Gattung zum Durchbruch verhalfen: Die Fledermaus
(1874), Eine Nacht in Venedig (1883) und Der Zigeunerbaron (1885). Bis heute konnten diese
Stücke ihre szenische Schlagkraft ungeschwächt
behaupten. Verglichen mit der Fledermaus ist Eine Nacht in Venedig vielleicht
sogar musikalisch reicher, aber dramatisch
erheblich wackliger. Verglichen mit dem nachfolgenden Zigeunerbaron ist sie, was kompositorische Satztechnik und Instrumentation
anlangt, einfacher gearbeitet, riskiert dafür aber auch nirgends, sich pathetisch oder sentimental zu überheben.
Wie es zu Strauß’ Entscheidung für das Textbuch aus der Werkstatt von Camillo Walzel
alias „F. Zell“ und Richard Genée kam, ist unklar. Möglicherweise hat der Komponist selbst eine Handlung angeregt, die in Venedig spielt. Seinem künstlerischen Instinkt hätte dies jedenfalls entsprochen: Schon damals lebte die Lagunenstadt ausschließlich von ihrem
legendären geschichtlichen Erbe, stellte somit eine ideale Kulisse für die bodenlosen Unwahrscheinlichkeiten einer Operette dar. Anekdotisch ist überliefert, Zell und Genée hätten Strauß zu verstehen gegeben, Carl Millöcker interessiere sich für das Venedig-Libretto, um es auf diese Weise um so bestimmter
an Strauß vergeben und Millöcker das gleichzeitig entstandene Textbuch Der Bettelstudent (1882) überlassen zu können. Ob so oder anders: Strauß hatte angebissen.
Eine Nacht in Venedig – Die Handlung
Venedig, Mitte des 18. Jahrhunderts. Regelmäßig
kommt der Herzog von Urbino, ein berüchtigter
Schürzenjäger, zum Karneval nach Venedig. Diesmal stellt er Barbara, der Gemahlin
des Senators Delacqua, nach. Der ältliche Delacqua befindet sich in einer Zwickmühle: Einerseits möchte er den Herzog bei Laune halten, da dieser den lukrativen Posten eines Verwalters zu besetzen hat, andererseits will er seine Frau vor dem umtriebigen Adeligen schützen. Kurzerhand schließt er Barbara in ihr Zimmer ein, um sie später nach Murano in Sicherheit bringen zu lassen, und geht mit der maskierten Köchin Ciboletta (= Schnittlauch), die er als seine Gattin ausgibt, auf das herzogliche
Fest. Er ahnt jedoch nicht, dass Barbara wiederum ihre Freundin Annina an ihrer Stelle in die Gondel setzen will, um selbst frei zu sein für ein Redezvous mit Enrico, dem Neffen des Senators. Inzwischen hat Caramello, der Leibbarbier des Herzogs, durch den Makkaronikoch
Pappacoda, Cibolettas Geliebten, von Delacquas Absichten erfahren. Als Gondoliere verkleidet, entführt er die vermeintliche Senatorengemahlin
in den Herzogspalast – nicht ahnend,
dass es sich dabei um seine vermummte Geliebte Annina handelt.
Am Abend, im Palazzo des Herzogs, ist alles
bereit für das große Fest. Als Caramello Annina
erkennt, ist er in einer verzwickten Lage: Er muss den Zorn des Herzogs fürchten, wenn sich herausstellt, dass er die falsche Frau entführt
hat; zugleich muss er versuchen, seinen lüsternen Herrn von Annina fernzuhalten. Die Verwicklungen spitzen sich zu, nachdem Delacqua
und weitere Senatoren im Palast auftauchen.
Da Delacqua Ciboletta als seine Gattin vorstellt, sieht sich der Herzog nun plötzlich mit zwei (falschen) Barbaras konfrontiert. Anstatt, wie geplant, für ihren Scheingemahl Delacqua eine Verwalterstelle zu erschmeicheln, schlägt Ciboletta für den eigenen Liebsten Pappacoda das Amt des herzoglichen Leibkochs heraus. Bevor sich der Palastherr vollends mit den beiden „Barbaras“ zurückziehen kann, kommt maskiertes Volk, um den Herzog traditionsgemäß
zum nächtlichen Karnevalstrubel auf den Markusplatz zu geleiten.
Dort entwischen die beiden Frauen schließlich dem Verführer. Ciboletta besänftigt
den eifersüchtigen Pappacoda, und der Herzog, mittlerweile aufgeklärt über die wahre
Identität der Annina, verleiht Caramello das Amt des Verwalters, nicht ohne den Hintergedanken,
dass Annina als Verwaltersfrau in greifbarer Flirt-Nähe bleibt. Einzig Delacqua geht ganz leer aus: Der erstrebte Posten ist vergeben, und nichtsahnend dankt er seinem Neffen Enrico, vom der er glaubt, er habe seine Frau uneigennützig in Sicherheit gebracht.
In den emphatischen Finalwalzer, der am Ende ganz Venedig rotieren lässt, stimmt Delacqua trotzdem mit ein: als Primus inter pares der getäuschten Täuscher.
Private Ereignisse führten dazu, dass Eine Nacht in Venedig als einzige Strauß-Operette nicht in Wien uraufgeführt wurde: Im Sommer 1882 begann Strauß’ zweite Frau Angelika ein Verhältnis mit Franz Steiner, der seinem Vater Max in der Direktion des Theaters an der Wien gefolgt war. Da sich der Komponist im Dezember scheiden ließ, kam eine Uraufführung
an der bisherigen „Heimatbühne“ nicht mehr in Frage. Strauß verlegte die Premiere
kurzerhand nach Berlin als Eröffnungsvorstellung
des Neuen Friedrich-Wilhelmstädtischen
Theaters. Der Uraufführungserfolg am 3. Oktober 1883 war nur mäßig. Nachdem sein Privatleben wenig später durch seine zukünftige
dritte Frau Adele eine positive Wendung genommen hatte, ließ er sich dazu bewegen, das Werk bereits am 9. Oktober desselben Jahres auch dem Theater an der Wien zu überlassen. Von da an wurde Eine Nacht in Venedig in ganz Europa gespielt.
* * *
Die Donaumonarchie feiert sich selbst:
Der Zigeunerbaron
Johann Strauß freute sich über alle Maßen, als ihm nach der Uraufführung am 24. Oktober
1885 – es war der Vorabend seines 60. Geburtstags – Kaiser Franz Josef zur „neuen Oper“ gratulierte. Vielleicht hatte sich der Monarch
nur versprochen, doch gerade durch diese Fehlleistung traf er den Kern des Werks. Die Wiener Operette hatte eine Wandlung durchgemacht,
und Der Zigeunerbaron kündete davon
als erstes, später stilbildend nachgeahmtes Zeugnis. Außerdem gilt Strauß mit der Wahl eines „ungarischen“ Sujets als Begründer eines Prototyps der Ungarnoperette, die später von Komponisten wie Franz Lehár oder Emmerich Kálmán zur vollen Blüte gebracht wurde.
Der Librettist Ignaz Schnitzer brachte die „reimlosen Jamben“ des originalen Textentwurfs
von Mór Jókai in Reimform und unterzog
„unwesentliche Details auf Wunsch des Komponisten einer Umarbeitung“. Dass er die Handlung in die spanischen Erbfolgekriege Mitte des 18. Jahrhunderts verlegte, ändert nichts an der Tatsache, dass der Zigeunerbaron
auf die Entstehungszeit gemünzt war und die neugefestigte österreichisch-ungarische Allianz hochleben ließ. Gerade die vielen Anspielungen
auf Begebenheiten, Schicksale und menschliche Charaktere, die damals in Wien jedermann geläufig waren, festigten den enthusiastischen Erfolg des Werks.
Der Zigeunerbaron – Die Handlung
Die Geschehnisse könnten sich, von einigen romantischen Abschweifungen abgesehen, in der Tat um 1880 zugetragen haben, als die 1848 gegen Wien und den Kaiser aufbegehrenden,
mit Hilfe russischer Truppen niedergeschlagenen
und des Landes verwiesenen ungarischen Aristokraten in ihre Heimat zurückkehren
durften.
Sándor Bárinkay ist das getreue Abbild vieler ungarischer Magnaten, die nach der fehlgeschlagenen Revolution fliehen und sich recht und schlecht in der Fremde durchbringen
mussten. Wie andere begnadigte Gutsbesitzer
findet sich der zurückgekehrte Bárinkay um sein Erbe betrogen. Geschäftemacher wie der „Schweinefürst“ Zsupán haben sich breit gemacht und verteidigen mit List und plumper
Gewalt den angemaßten Besitz. Bei den Heimatlosen, den unbehausten Landfahrern, den Zigeunern findet Bárinkay Aufnahme. Sie erheben ihn zu ihrem Anführer, was ihm die spöttische, abschätzige Bezeichnung „Zigeunerbaron“
einträgt. Das junge Zigeunermädchen
Saffi, betreut von der alten Czipra, verliebt sich in den Fremden. Als offenkundig wird, dass Saffi die Tochter des letzten türkischen
Paschas von Temesvar ist, fühlt sich Bárinkay ihr an Rang unterlegen und schließt sich aus Verzweiflung den Rekruten an.
Nach der Rückkehr aus einem siegreichen Feldzug klären sich die Missverständnisse. Einer
Verbindung von Saffi und Bárinkay steht nun nichts mehr im Weg. Neue Waffenbrüderschaft
hat Österreicher und Ungarn wieder zueinander geführt.
Musikalisch orientierte sich Strauß im Zigeunerbaron wenig an authentischer Zigeunermusik,
schwelgte jedoch auch nicht in üppigen Exotismen. So ist dem „Zigeunerbaron“
Bárinkay kein ungarischer Csárdás, sondern ein schwungvoller Walzer („Ja, das alles auf Ehr’“) zugeordnet. In den melodischen Wendungen bewies Strauß eine Fähigkeit, die man bislang nur aus seiner Tanzmusik kannte: die Imitation „nationaler“ Klänge. Die Stilistik seiner ungarisch-balkanischen Musik ist im Umfeld jener Faszination zu sehen, mit der auch Franz Liszt die Aura des Ungarischen und Zigeunerhaften in Töne umzusetzen suchte.
Die Uraufführung des Zigeunerbarons im Theater an der Wien unter seiner Leitung bescherte Strauß den größten Bühnenerfolg seines Lebens. Für den versöhnlichen Ausklang,
das Schluss-Tableau wünschte er sich von Direktor Franz Jauner eine selbst für ein renommiertes Operettentheater ungewöhnlich prächtige Ausstattung „mit 80 bis 100 Soldaten zu Fuß und zu Pferd, mit Marketenderinnen in spanischer, ungarischer und wienerischer
Tracht, Volk aller Art, Kinder und Blumen – die Bühne muss bis zum hintersten Tor geöffnet werden“. Nicht zuletzt solche handgreiflichen Realismen sicherten dem Zigeunerbaron eine bis heute anhaltende Popularität.
* * *
Bunte Votivbilder:
Der Vogelhändler
Das „Goldene Zeitalter“ der Wiener Operette
war zu Beginn des letzten Jahrzehnts des 19. Jahrhunderts bereits am Verklingen. Johann Strauß, Franz von Suppé und Carl Millöcker
hatten ihre triumphalen Meisterwerke bereits geschrieben. Mit dem am 10. Januar 1891 im Theater an der Wien uraufgeführten, handfest-volkstümlichen Vogelhändler legte Carl Zeller schließlich eines der unsterblichen Stücke der Gattung insgesamt nach, wenn es auch weit hinter die geistvollen Unverschämtheiten
der „Offenbachiaden“ zurückfiel.
Die Entwicklung war darauf hinausgelaufen,
nicht Theaterstücke mit Musik zu liefern, sondern vor allem jedermann faszinierende Musik, die die Handlung nur brauchte, um sich an ihr aufzureihen. Eine Handlung, die es nicht auf literarischen Ehrgeiz anlegte, sondern sogar recht fragwürdig sein konnte – wenn sie nur Anlass zum Lachen oder Weinen gab, wenn sie nur vergnügte oder erschütterte. Die Musik hatte durch faszinierende melodische Einfälle – kess oder sentimental – augenblicklich
zu zünden. In Windeseile sollten die „Ohrwürmer“ nachgesungen oder -gepfiffen werden: Beim Vogelhändler waren es keineswegs
die auch vorhandenen munter-witzigen Nummern, sondern rührselige wie „Schenkt man sich Rosen in Tirol“ und „Wie mein Ahnl zwanzig Jahr’“ oder treuherzig-schelmische wie „Ich bin die Christel von der Post“.
Der Vogelhändler – Die Handlung
In der Rheinpfalz, zu Beginn des 18. Jahrhunderts.
Da sich der Kurfürst zur Wildschweinjagd
angesagt hat, herrscht im kurfürstlichen Jagdrevier große Aufregung. Leider fehlen im Dorf genau die beiden Dinge, die der Landesherr
erwartet: Es gibt keine Wildschweine mehr, weil die Bauern sie alle abgeschossen haben, und auch an der passenden Ehrenjungfrau
mangelt es, die ihm einen Blumenstrauß überreichen könnte. Der kurfürstliche Jagd- und Wildmeister ist bereit, gegen ein hohes Bestechungsgeld ein zahmes Hausschwein und eine dreimalige Witwe dem Kurfürsten vorzuführen. Da wird die Jagd abgesagt. Der Jägermeister, der sich das Geld nicht entgehen
lassen möchte, lässt kurzerhand seinen Neffen den Kurfürsten mimen. Unerwartet trifft die Kurfürstin – als Bauernmädchen verkleidet
– ein, um ihren Gatten „in flagranti“ zu ertappen. Gleichzeitig kommt der Tiroler Vogelhändler
Adam, um seine Braut Christel zu besuchen. Diese möchte beim Kurfürsten die Stellung des Menagerieinspektors für Adam erbitten. Ein fröhliches Spiel der Verwechslungen,
Eifersüchteleien und Liebe beginnt…
Der 1842 in St. Peter in der Au (Niederösterreich)
geborene Carl Zeller war gar kein Musiker
von Beruf. Als Sohn eines Arztes hatte er schon früh das Spielen mehrerer Instrumente erlernt und wurde elfjährig Sängerknabe der kaiserlichen Hofkapelle in Wien. Später studierte
er Jura und zugleich Komposition beim seinerzeit berühmten Musiktheoretiker Simon Sechter. Nach seiner Promotion zum Doktor der Rechte war er ab 1873 im Ministerium für Unterricht und Kultus tätig, wo er nach und nach eine beachtliche Karriere machte, schließlich in den Rang eines Hofrats aufstieg und auch die Leitung des Kunstreferats übernahm.
Er komponierte zwar durchaus professionell,
doch immer nur nebenbei, gemächlich und in größeren Abständen.
Auf einen Text von Moritz West und Ludwig
Held glückte ihm mit dem Vogelhändler, seinem vierten Bühnenwerk, der Inbegriff der deutsch-österreichischen Heimatoperette – voll von dem, was man gemeinhin als Gemüt und herzhaften Humor bezeichnet. Seinem Arbeitgeber
war der komponierende Herr Sektionsrat
allerdings suspekt. Jedenfalls beehrte ihn das Ministerium im Vorfeld der Uraufführung
mit folgendem brieflichen Hinweis: „… es wäre wohl natürlich, dass mit Rücksicht auf seine Eigenschaft als Staatsbeamter der Herr Dr. Zeller nicht auf der Bühne erscheinen könne…“ Zeller ließ sich nicht abschrecken und feierte einen Sensationserfolg. Damals wie heute scheint das herbeimusizierte Milieu
des Vogelhändlers, einem städtischen Publikum gleichsam bunte Votivbilder heraufzubeschwören.
So reizvoll-verklärt kann eine ländliche Vorvergangenheit eben sein.
Bittersüße Liebesgeschichte:
Die lustige Witwe
Franz Lehárs sechstes Bühnenwerk läutete das „Silberne Zeitalter“ der Operette ein. Am 30. Dezember 1905 im Theater an der Wien uraufgeführt, ging insbesondere eine Melodie der Lustigen Witwe um die Welt: „Lippen schweigen, ’s flüstern Geigen: Hab mich lieb!“ – der in unzähligen Bearbeitungen am häufigsten
verbreitete „Wurf“ eines Komponisten im 20. Jahrhundert, nichts weniger als ein inniger Gleichklang sich im Valse-moderato-Takt nach einander verzehrender Herzen.
Dieses Tanz-Duett äußert Liebe, indem es sich dazu äußert, wie und womit Liebe sich äußern lässt: mit einem Händedruck, der nicht minder deutlich spricht als die Berührung im gemeinsamen Walzerschritt, als die Vibration des Herzschlags. Solcher Körperdialog bliebe freilich stumm ohne die Eloquenz der Musik.
Die Instrumente im Orchester wirken als Dolmetscher unsagbaren Gefühls, das sich nichtsdestoweniger besingen und ertanzen lässt. Sie entlocken, was wortlos in beiden Partnern rumort. Und das ganze ist einfach hinreißend: ein bittersüßer Schlagabtausch zwischen zwei intelligenten „Sparringspartnern“.
Die lustige Witwe – Die Handlung
Paris 1905. In der Gesandtschaft der kleinen fiktiven Balkanmonarchie Pontevedro geht’s drunter und drüber: Hanna Glawari, die von ihrem verstorbenen Mann ein beträchtliches Vermögen geerbt hat, ist in der französischen Hauptstadt eingetroffen – anscheinend um sich erneut zu verheiraten. Die neue Ehe der ganz und gar nicht trauernden Witwe mag ihre Privatangelegenheit sein, nicht aber ihr Vermögen, auf das der ständig am Rand des Bankrotts wankende Staat dringend angewiesen
ist. Der Auftrag des Landesvaters lautet, dafür zu sorgen, dass die millionenschwere
Witwe einen Pontevedriner heiratet, damit ihr Geld daheim bleibt. Dafür kommt nur einer in Frage: der lebenslustige Gesandtschaftssekretär
Graf Danilo Danilowitsch. Der verweigert – aus guten Gründen – anfangs entschieden diese Tat…
40 Jahre lang galt die holprig eingedeutschte
Komödie Der Gesandtschafts-Attaché von Henri Meilhac, dem Librettisten Offenbachs und Mitautor des Carmen-Textbuchs, als dramaturgischer
Ladenhüter. Erst Victor Léon und Leo Stein veredelten die Vorlage zum zugkräftigsten
Libretto, das der 1870 in der Westslowakei
geborene Franz Lehár je vertont hat. Zunächst war das Buch für Richard Heuberger bestimmt, der sich seit dem Opernball zum Spezialisten für wienerisch gebrochene Pariser
Frivolitäten aufgeschwungen hatte. Seine Vertonung erwies sich jedoch als derart bieder, dass die Textautoren ihr Libretto lieber zurückzogen,
weil sie den Misserfolg witterten.
Man trat an den jüngeren und vitaleren Lehár heran, der damals von kurzlebigen Erfolgen
zehrte, als Theaterkapellmeister aushalf
und dafür bekannt war, als einstiger Dvorˇák-Schüler den geforderten slawischen Tonfall mit Sicherheit zu treffen. Haupteingriff ins Original war eine lokale Verlagerung: An die Stelle des allzu biederen deutschen Fürstentums
trat ein Kleinstaat auf dem Balkan. Zudem wurde die Gesandtschaft, in der Danilo Dienst zu tun vorgibt, nach Paris verlegt, das weiterhin als Zielpunkt erotischer Phantasien und Hauptstadt des luxuriösen Lebens galt.
„Dös is kaa Musik!“ war der entmutigende Kommentar der Theaterdirektoren, als Lehár ihnen
seine neue Operette am Klavier vorspielte. Sie schworen bei ihrem „erprobt unfehlbaren Theaterinstinkt“, sich mit der Lustigen Witwe den Reinfall des Jahrzehnts eingehandelt zu haben, suchten die Uraufführung zu vereiteln und warfen dem unablässig verbessernden Komponisten vor, mit der Partitur nicht zu Rande zu kommen. Doch die Sänger – unter ihnen Mizzi Günther in der Titelpartie, die Mutter
der später berühmten Koloratursopranistin Maria Ivogün, und der 1943 in Theresienstadt ermordete Louis Treumann als Danilo – hielten zu Lehár und setzten das Werk durch. Als der unerwartete Premierenbeifall losbrach, reihten
sich – einem alten Theaterbrauch folgend – auch die Direktoren unter die Väter des Sieges
und holten sich ihren Anteil am Applaus…
* * *
Unaufhaltsames Aneinander-Heransingen:
Der Graf von Luxemburg
War Lehár auf Drogen?“ Diese – ernstgemeinte
– Frage heutiger Musikstudenten
an ihren Dirigierprofessor, einen bekennenden
Operetten-Fan, ist bezeichnend.
Sind uns die feinen Valeurs des menschlichen Daseins, auf denen der musikalische Ideenreichtum
Franz Lehárs beruht, ästhetisch so fremd geworden?!
Dabei macht weniger der Zauber einer Bühnen-Traumwelt den Reiz des zunehmend opernhaft-tragischen Lehár-OEuvres aus als vielmehr die stets beigemischte Prise weiser Erkenntnis über Menschliches, Allzumenschliches.
Scheinbares „Weltfluchtbedürfnis“ entpuppt sich häufig als genau beobachtete Verhaltensstudie. Drogen brauchte der Komponist
hierzu jedenfalls nicht…
In Der Graf von Luxemburg ist das Strukturelement
der Vorbestimmung auf die Spitze getrieben: Zwei, die nicht wissen, dass sie miteinander verheiratet sind, lernen einander kennen und verlieben sich auf den ersten Blick. Wie kann das sein? Die Eheschließung, ein Vierteljahr zuvor, fand anonym in einem Maler-atelier statt und nur pro forma. Getrennt durch eine Staffelei gab sich das Brautpaar das Jawort und ging dann blicklos auseinander.
Der Graf von Luxemburg – Die Handlung
Wir befinden uns in Paris um das Jahr 1900. Hauptfiguren sind zum einen die Opernsängerin
Angèle Didier, die einen Adelstitel benötigt, damit ihr Gönner, der alte russische Fürst Basil Basilowitsch, sie standesgemäß ehelichen
kann, zum anderen der lebenslustige René Graf von Luxemburg, der unter ständiger Geldknappheit leidet. Mit 500.000 Francs kann ihn der Fürst locken, für drei Monate den legalen,
aber unerkannten Gatten abzugeben, der sich seiner Frau keinesfalls nähern darf.
Doch das Schicksal will es, dass René Angèle bei ihrer letzten Vorstellung sieht und sich sofort in sie verliebt. Ohne zu wissen, wer sie ist, umwirbt er sie und lässt ihr Herz höher schlagen. Sobald sie einander jedoch identifizieren,
ist die beiderseitige Entrüstung über die ehrenrührige Geldheirat groß. Dennoch sind Liebe und Leidenschaft stärker als die Vernunft. Laut Vertrag mit Fürst Basil müssen sie sich aber trennen. Was nun?
An dieser Stelle erscheint Gräfin Stasa Kokozow auf der Bildfläche. Sie steht Basil
nicht nur altersmäßig nahe, sondern hat von ihm auch ein Eheversprechen, und der Zar wünscht, dass der Fürst es einhält. Mit keineswegs altersschwachem Hieb durchschlägt
sie den schier unentwirrbaren dramatischen
Knoten: Auf der Suche nach Angèle landet Basil in den Armen seiner unersehnten Verlobten.
René erhält nicht nur sein Ehrenwort zurück,
er erfährt auch, dass die Beschlagnahmung
seiner Güter aufgehoben wurde. So kann er die 500.000 Francs zurückzahlen. Und noch ein drittes Paar tänzelt schließlich, nach allerlei Umwegen, auf die Ehe zu: mit seinem Modell Juliette der Maler Armand, der vorher bei der anonymen Verheiratung die trennende Leinwand zur Verfügung gestellt hatte und der bislang keinerlei Gelüst auf irgendwelche Hochzeiten verspürte – weder auf echte noch auf solche zum Schein.
Bei der Uraufführung am 12. November 1909 im Theater an der Wien wurde Der Graf von Luxemburg mit stürmischem Beifall aufgenommen
und begann nach über 300 Vorstellungen
en suite seinen weltweiten Siegeszug. Das Libretto von Alfred Maria Willner, Robert
Bodanzky und Leo Stein bot eine ideale Grundlage für Lehárs Komponierlust: Paris als klangliche Kulisse, Karneval, rauschende Feste,
Bohèmemilieu und viel Liebessehnsucht.
Das Werk steht, was Gedankenreichtum, originelle Prägnanz der Einfälle, dramatische Charakterisierungskunst und aparte Haltung des harmonischen und instrumentalen Kolorits
anlangt, ebenbürtig neben der vier Jahre
älteren Lustigen Witwe. Dass schon das Uraufführungspublikum den Grafen von Luxemburg
als eine Art Fortsetzung von Léhars bislang berühmtester Operette empfunden hat, liegt nahe. Thematisch verbindet beide Stücke die Kollision von viel Geld und zweifelhaftem
Ehebund, musikalisch die Kollision von Pariser Tonfall und slawischen Gegenklängen.
Wie Lehár den musikalischen Faden der Lustigen Witwe nicht nur aufnimmt, sondern auch andersartig fortspinnt, prägt sich besonders
markant in den Tanzrhythmen aus – namentlich
im Walzer. Die Valse-moderato von „Lippen schweigen“ war dort die Ausnahme. Hier nun wird sie zur Regel im musikalischen Herzensverkehr zwischen Angèle und René, die durch Masken und Pseudonyme, durch Verstellungen und Berechnungen hindurch sich unaufhaltsam aneinander heransingen.
* * *
Selbstüberwindung aus einsichtiger Menschlichkeit:
Das Land des Lächelns
Eine Zeit lang schien es, als ob die Hochkonjunktur
für die Operette – und somit auch für deren bedeutendsten Vertreter im vergangenen Jahrhundert – vorbei sei. Neue Klänge und Tanzformen hatten von Amerika
kommend den europäischen Kontinent in den „Goldenen Zwanzigern“ erobert: Foxtrott, Onestep, Valse Boston, Tango u. a. Doch die größten Erfolge seiner Karriere sollte Franz Lehár, der seine Melodik und Instrumentierung
stets anzupassen vermochte, noch vor sich haben. Das Land des Lächelns ist das Werk eines fast 60-Jährigen, dem die abschließende
große Steigerung seines Stils gelingt.
Nun bewegte ihn das fernöstliche Kolorit – eine Farbe, die seit Carl Maria von Webers Turandot-Musik durch europäische Partituren geisterte und sich am einprägsamsten in Madame
Butterfly und Turandot des von Lehár hochverehrten Giacomo Puccini manifestierte.
Der Italiener hatte die pentatonischen Wendungen, die in sich zurückpendelnden Melodien, hüpfenden Rhythmen, Quartakkorde
und magischen Wirkungen des Schlagzeugs
vollends populär gemacht. Lehár nützte diese Errungenschaften so nachhaltig, dass sogar die großen Gesangsnummern wie „Immer
nur lächeln“, „Wer hat die Liebe uns ins Herz gesenkt?“, „Dein ist mein ganzes Herz“ und „Von Apfelblüten einen Kranz“ davon durchzogen sind.
In den letzten Jahren vor dem Ersten Weltkrieg gab es in Wien einen charmanten, attraktiven Sekretär der kaiserlich chinesischen
Botschaft. Er verkehrte in den Salons der Künstler, die Damen der Gesellschaft himmelten ihn an. Kurz vor dem Sturz der Mandschu-Dynastie wurde er in seine Heimat
abberufen. Man hörte nie mehr etwas von Herrn Sou-Chong, der gleichwohl zum Urbild des fernöstlichen Prinzen wurde. Victor
Léon, Lehárs Hausdichter seit der frühen Erfolgsoperette Der Rastelbinder, schmückte in der Phantasie das Schicksal des immer nur lächelnden Diplomaten märchenhaft aus…
Das Land des Lächelns – Die Handlung
In Wien und Peking, 1912. Lisa, Tochter des Grafen Lichtenfels, ist fasziniert vom Diplomaten
Prinz Sou-Chong. Dessen verhaltene Leidenschaft und die exotische Aura seines Auftretens beeindruckt sie ungleich stärker als das Werben ihrer zahlreichen Wiener Kavaliere,
unter denen sich besonders Graf Gustav
von Pottenstein hervortut. Als Sou-Chong, zum chinesischen Ministerpräsidenten ernannt,
kurzfristig in seine Heimat zurückkehren
muss, entschließt sich Lisa entgegen den Warnungen ihres Vaters, dem geliebten Mann zu folgen.
In China sieht sich das Paar bald auf den Boden der gesellschaftlichen Wirklichkeit zurückgeworfen. Die äußeren Widerstände gegen die Beziehung lassen den Liebenden die lange verdeckte Unvereinbarkeit ihrer Charaktere mehr und mehr bewusst werden. Als Sou-Chong schließlich gemäß der Tradition
in eine Ehe mit vier Chinesinnen einwilligen muss, sind Lisas Illusionen endgültig zerstört.
Gustl, Lisas Verehrer aus Wien, der sich als Militärattaché nach China versetzen ließ und mittlerweile selbst den exotischen Reizen von Sou-Chongs Schwester Mi erlegen ist, will ihr zur Flucht nach Hause verhelfen. Hilfe wird ihnen von Mi zuteil, die erkennen muss, dass ihrer Liebe zu Gustl ebenfalls keine Dauer beschieden
sein kann. Die Flucht scheitert an der Wachsamkeit Sou-Chongs, der sich aber in das Unabänderliche fügt und das Paar ziehen lässt.
Der erfolgreichen Premiere am 10. Oktober 1929 am Berliner Metropoltheater folgten bereits bis 1930 rund 200 Inszenierungen in ganz Europa. Zehn Jahre vor seinem Tod in Bad Ischl feierte Franz Lehár 1938 noch einen großen Triumph: Seine China-Operette hielt Einzug in der Wiener Staatsoper – abermals mit Richard Tauber in der Tenor-Rolle, der schon die Uraufführung gesungen hatte und seit Paganini (1925) und Der Zarewitsch (1927) der tonangebende „Vollstrecker“ von Lehárs Melodik war. Der Komponist hatte in Tauber eine einmalige Inspirationsquelle gefunden: Er schrieb dem Sänger seine Musik gleichsam auf die Stimmbänder, und die sogenannten „Tauber-Lieder“ wurden beim Publikum so populär,
dass sie in Lehárs späteren Werken eine alles beherrschende Stellung einnahmen.
Seit dem 19. Jahrhundert war die Liebe zwischen Menschen verschiedenartiger Kulturzonen
auf der Musiktheaterbühne dem Untergang
geweiht. Am tragischen Schluss von Das Land des Lächelns steht – statt des operettenüblichen Happy Ends – der Verzicht des asiatischen Prinzen: eine Selbstüberwindung aus einsichtiger Menschlichkeit. Gesanglich hätte das Entsagen allerdings kaum imposanter
ausfallen können als mit der Reprise von Sou Chongs berühmtester Arie: „… lächelnd trotz Weh und tausend Schmerzen. / Doch wie’s da drin aussieht, /geht niemand was an.“
* * *
Den Adel verlachen und verklären:
Die Csárdásfürstin
Als sich der 1882 am ungarischen Plattensee
geborene Emmerich Kálmán hinsetzte,
um den Text von Leo Stein und Béla Jenbach in Musik zu setzen, hatte man der Welt gerade mal wieder ihr Ende vorausgesagt:
Der Halleysche Komet sollte mit der Erde zusammenstoßen. Es wurde dann aber doch nichts draus, und Die Csárdásfürstin konnte ihre Uraufführung erleben. Mitten im Ersten Weltkrieg – am 13. November 1915 – ging sie im sieben Jahre zuvor eröffneten Johann-Strauß-Theater in Wien zum ersten Mal über die Bühne. Und während die Londoner gegen den deutschen – und deshalb feindlichen – Tannhäuser Richard Wagners zu Felde zogen,
kam Die Csárdásfürstin 1917 sogar in New York zu einer umjubelten Premiere.
Was dieses weltweit populärste Kálmán-Stück über andere Operetten hinaushebt und sie ebenbürtig an die Seite der besten Werke von Offenbach, Strauß und Lehár treten lässt, ist der geschichtliche Hintergrund, vor dem sie entstanden ist. Fotografisch genau spiegeln
sich die Zeitumstände in der Handlung, dem Milieu und den Figuren wider. Bei der gezeigten Welt der Lebemänner und Varietésängerinnen,
der adligen Kavaliere und flotten Leutnants, der süßen Mädels, der Ballettratten
und Kokotten, in der die Nacht zum Tag gemacht wird, handelt es sich um keine Operettenscheinhaftigkeit, sondern um die Realität der Vorkriegsära.
Die Csárdásfürstin – Die Handlung
In Budapest und Wien, Juni 1914. Wie so oft wird das Aufeinandertreffen zweier verschiedener
Gesellschaftsschichten beschrieben: Der Fürstenspross Edwin Ronald liebt die schöne
Sängerin Sylva Varescu. Doch heiraten soll er die Komtesse Stasi. Da sich Sylva und Edwin schon insgeheim ihr Ja-Wort gegeben haben, Edwin aber noch Zeit braucht, um sich aus den gesellschaftlichen Konventionen zu befreien und sich öffentlich zu Sylva zu bekennen, sind die Komplikationen vorgezeichnet.
Sylva, geleitet von dem lebensklugen Feri,
macht ihre Weltkarriere. Und Stasi muss sich erst noch in den lebenslustigen Grafen Boni verlieben, ehe durch einen großen Heiratstausch
jeder seinen Idealpartner in die Arme schließen kann. Dann erfährt Edwins Vater, Fürst von und zu Lippert-Weylersheim, noch eine „schreckliche“ Wahrheit: Seine eigene Gattin Anhilte war einst eine sehr beliebte Chansonnette, die erst durch ihre vorherige Ehe mit einem viel älteren Grafen in den Adelsstand versetzt wurde. Der Fürst resigniert und zieht das Fazit: „Mein Stammbaum
zerfällt in lauter Brettln.“
Die Heckenrosen füllten den Tag mit ihrem süßesten Duft, und die ungezählten großen und kleinen Skulpturen standen wie Wächter im Garten des Hauses Esplanade Nr. 6 in Bad Ischl. „Rosenvilla“ nannten die Einheimischen
das Gebäude, aus dessen halbgeöffneten
Fenstern eine übermütige Melodie klang: „Ganz ohne Weiber geht die Chose nicht…“ Den größten Teil der Csárdásfürstin komponierte Kálmán dort. Das Haus hatte er von Franz Lehár übernommen. Die Rosenvilla atmete Musik. Giacomo Meyerbeer hatte hier an seinem Propheten geschrieben. Später war Johannes Brahms eingezogen. Ihm folgten
der polnische Pianist Theodor Leschetizky und der Geiger Joseph Joachim.
Kálmáns Kunst als Operettenkomponist besteht darin, dass er den champagnertrunkenen
Taumel nicht einfach nur effektvoll eingefangen hat. Über vielen seiner Melodien liegt eine zarte, verschleierte Melancholie, die stille Schwermut des Abschieds von einer Epoche und Lebensform. Wenn die Aristokratie
in der Csárdásfürstin zugleich verlacht und verklärt wird, dann mit Stil.
* * *
Zeitloser Genuss:
Gräfin Mariza
Wien 1924. Da gab es kein habsburgisches
Zeremoniell in der Hofburg mehr, keine rosenumsäumte Anmut in Schloss
Schönbrunn; auch nicht mehr die gewachsene
Großbürgerlichkeit in den alten Donauländern
des k.-und-k.-Reichs, die dörfliche Volksidylle um Rebstock oder Ziehbrunnen; nicht einmal mehr die beschämend heimlichen
Affären der uniformierten Herren von Stand mit den Modistinnen oder „Stubenkatzerln“.
Dass gerade damals die Operette eine neue, in Anbetracht des weitverbreiteten Weltfluchtbedürfnisses vielleicht ihre größte Blütezeit erleben sollte, mutet rückschauend wie ein besonderes Kuriosum dieser widersprüchlichen
Epoche an.
Das Publikum hatte sich nun jedoch gewandelt,
und die Operetten trugen dem in Text und Musik Rechnung: Man wollte einfach genießen.
Die Musik sollte süffig sein, Frivolität oder auch nur Anzüglichkeit wurde beklatscht, schwüle Erotik und Sentimentalität bevorzugt. Schieber saßen im Parkett, Kriegsgewinnler und Betrüger. Sie gaben weitgehend den Ton an. Man prasste und zeigte, was man hatte – solange man es noch hatte. Dem Adel war sein Glanz abhanden gekommen. In der Republik Österreich war er sogar per Dekret abgeschafft worden. Geld zählte, Ware oder – noch besser – Beziehungen.
In diese Melange tauchte der 1953 in Paris gestorbene Emmerich Kálmán mit dem Sujet von Gräfin Mariza voll ein und verwirklichte seine Absicht – nach der neun Jahre älteren Csárdásfürstin – wieder einen Sensationserfolg
zu landen. Zwei neue, folgenreiche Kooperationen
trugen zur Entstehung des Stücks bei: Kálmáns erstmaliger Kontakt mit den Librettisten
Julius Brammer und Alfred Grünwald sowie die Zusammenarbeit mit dem vielseitigen
Operettenpraktiker Hubert Marischka, der in Personalunion von Sängerstar und Regisseur
das Theater an der Wien leitete. Mit dem Autorenduo, aber auch für Marischka und seine Bühne hat der Komponist die meisten
seiner weiteren Stücke, jeweils im Zweijahresrhythmus,
geschrieben. Umständlicher als vorher verlief indes die Arbeit an Gräfin Mariza. Teile des Buchs hatte Kálmán schon mehrere Jahre vorliegen, gewann ihnen aber zunächst wenig ab, so dass er mit denselben Librettisten erst einmal die strikt ironische, gesellschaftskritisch gewitzte Bajadere (1921) herausbrachte.
Gräfin Mariza – Die Handlung
In Ungarn, auf Marizas Schloss, 1924. Während
die reiche Gräfin Mariza in der Welt umherbummelt, kümmert sich ein tüchtiger Verwalter um ihre Güter. Dieser, der ehemalige
Graf Tassilo Endrödy-Wittemburg, der sich jetzt Török nennt, war zuvor in schwere wirtschaftliche Bedrängnis geraten, so dass er seine Besitzungen verpfänden und die Offizierslaufbahn
aufgeben musste. So hofft er, für seine Schwester Lisa, die nichts von der Verarmung der Familie erfahren soll, die nötige
Mitgift zu verdienen. Überraschend kommt Mariza mit einem Schwarm von Gästen und Verehrern aufs Land und verkündet, dass sie heute ihre Verlobung mit dem Baron Koloman
Zsupán feiern wolle. Allerdings hat die Gräfin diese Verlobung nur vorgeschützt, um ihre zahllosen Freier abzuschütteln. „Koloman Zsupán“ ist ein aus dem Zigeunerbaron von Johann Strauß entlehnter Name, und Gräfin Mariza hat ihn, wie sie glaubt, gut erfunden. Um so größer ist ihre Verblüffung, als sich tatsächlich ein Baron Koloman Zsupán auf dem Gut melden lässt… Am Ende können die beiden schwierig Liebenden, Mariza und Tassilo, ebenso ein Paar werden wie Zsupán, der Lisa umarmen darf.
Dem verarmten Mariza-Grafen Tassilo, der sich plötzlich durch seiner Hände Arbeit durchs Leben schlagen muss, konnte man nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg tausendfach
auf den Straßen begegnen. Für ein solches Sujet brauchte man nicht zu einer Allegorie greifen, es beinhaltete sozusagen hautnahen Realismus und bildete zugleich eine ideale Steilvorlage für die nostalgische Sehnsucht, die Erinnerung an die glorreiche Vergangenheit zu beschwören: „Grüß mir mein Wien“ und „Komm, Zigány“ sind zwei der schönsten Tenorlieder, die Kálmán seinem Tassilo in die Kehle komponiert hat.
Die mit Liebe, Eifersucht und Stolz gewürzte
Handlung rief solche musikalischen Spannungspunkte hervor, dass sich an ihnen die Inspiration des Komponisten lichterloh entzündete. Bei aller zeitverhafteten Schilderung
entstand dadurch ein quasi zeitloses Kunstwerk. Deshalb blieb Gräfin Mariza seit der Uraufführung am 28. Februar 1924 die Gunst des Publikums treu.
Richard Eckstein