Piano Sonatas: No. 7 in D major op. 10/3
No. 14 in C-sharp minor op. 27/2 Sonata quasi una fanatasia “Moonlight”
No. 9 in E major op. 14/1 · No. 23 in F minor op. 57 “Appassionata”
Igor Kamenz, pianoBei dem 1968 geborenen Igor Kamenz handelt es sich um eine außergewöhnliche
Doppelbegabung. Schon im Kindesalter trat er als Dirigent mit Orchestern wie dem Bolschoi-Orchester oder dem Russischen Allunion Rundfunk-Orchester auf. Er ist langjähriger Schüler von Sergiu Celibidache und Vitaly Margulis. Nach 18 ersten Preisen bei internationalen Klavierwettbewerben begann er eine triumphale Pianistenkarriere, auf die er sich seither fast ausschließlich
konzentriert. Die FAZ bescheinigte ihm ein Spiel von „unglaublicher Schönheit“ und „extraterrestrischer Musikalität“, sowie „fast unbegreifliche Virtuosität“. Nach Einspielungen von Liszt und Rachmaninow stellt sich Igor Kamenz nun bei OehmsClassics mit einer Auswahl von Beethoven-Sonaten vor, darunter die „Mondschein“-Sonate und die „Appassionata“.
Beethoven und das Klavier
Ein musikalisches Genie, welches seit zween Jahren seinen Aufenthalt in Wien gewählet hat. Er wird allgemein wegen seiner besonderen Geschwindigkeit
und wegen den außerordentlichen Schwierigkeiten bewundert, welche er mit so vieler Leichtigkeit exequirt. Man hat schon mehrere schöne Sonaten von ihm.“ So berichtete Schönfelders „Jahrbuch der Tonkunst“ 1795 über „Bethofen“, der in seinen ersten Wiener Jahren vor allem als Klaviervirtuose und genialer Improvisator in den Salons des musikliebenden Wiener Adels wahrgenommen wurde. Deshalb ist es verständlich, dass der überwiegende Teil seiner Kompositionen vor 1800 – fast ausschließlich Kammermusik – „seinem“ Instrument gewidmet war: Zwölf seiner 32 Klaviersonaten sind vor 1800 entstanden, und in fast allen anderen Kompositionen in Duo-, Trio- oder Quintettbesetzung dominiert
das Klavier.
Die Klaviersonate hatte für Beethoven vor 1800 Vorrang vor allen anderen Gattungen,
ehe er sich an Streichquartette und Sinfonien wagte. Hier musste er nicht befürchten, an seinen großen Vorgängern Haydn und Mozart gemessen zu werden, deren dreisätzige Klaviersonaten gar nicht mit den großen Sonatenformen Sinfonie und Streichquartett konkurrieren wollten. Dagegen sind Beethovens erste vier Klaviersonaten
und die 1796/97 entstandene D-Dur-Sonate (Nr. 7, op. 10,3) viersätzig und der Titel seiner zweitlängsten Sonate (op. 7) „Grande Sonate“ bringt den hohen Anspruch ebenfalls zum Ausdruck. Die ungewohnten
spieltechnischen Anforderungen
rechtfertigte der ehrgeizige Komponist damit, dass er die „hiesigen Klaviermeister in verlegenheit sezen“ wollte, von denen „manche“ seine „Todfeinde“ seien. Der her-ausragende Satz der D-Dur-Sonate ist das „Largo e mesto“, das laut Beethoven den „Seelenzustand eines Melancholischen“ charakterisiert. Es weist in seiner bekenntnishaften
Subjektivität weit in das 19. Jahrhundert
voraus. Man kann den am galanten Stil seiner Zeit geschulten Rezensenten der drei Sonaten op. 10 verstehen, wenn er „Klarheit und Anmuth“ vermisste und von einer „bizarren Manier“, der „zu freyen
Schreibart“ und der „oftmaligen Härte der Durchgangsnoten“ schrieb, durch die „eine dunkle Künstlichkeit oder eine künstliche
Dunkelheit hervorgebracht wird.“
Die E-Dur-Sonate (Nr. 9, op. 14,1) entstand
in den Jahren 1798/99 zusammen mit der „Sonate pathétique“ (op. 13), neben der sie oft als „leichter“ und „unbedeutender“ unterschätzt worden ist. Beethoven pflegte sein Leben lang immer an mehreren Werken
mit höchst unterschiedlichen Ausdruckscharakteren
gleichzeitig zu arbeiten. Wenn man ihn – wie oft geschehen – auf den heroisch-pathetischen Stil festlegt, führt das fast zwangsläufig zur Abwertung angeblich „untypischer“ Werke, z.B. zur Abwertung der Sinfonien mit den geraden Zahlen. Die dreisätzige Sonate ist zwar
spieltechnisch weniger anspruchsvoll und dauert kaum länger als das Largo der D-Dur-Sonate. Sie ist aber durch Motivverwandtschaft
und motivische Arbeit außerordentlich
kunstvoll gearbeitet.
„Ich bin nur wenig zufrieden mit meinen bisherigen Arbeiten. Von heute an will ich einen neuen Weg einschlagen“, soll Beet-hoven etwa 1802 gesagt haben. Und wieder waren es vorrangig die elf zwischen 1800 und 1805 entstandenen Klaviersonaten, die zum Experimentierfeld für neue kompositorische
Möglichkeiten wurden. Die 1801 komponierte cis-Moll-Sonate (Nr. 14, op. 27,2) ist schon nicht mehr am klassischen
Stil der „Grande Sonate“ orientiert. Ihre Bezeichnung als „Sonata quasi una Fantasia“ (der Titel „Mondscheinsonate“ stammt nicht von Beethoven) bringt zum Ausdruck, dass er an offenere Formprozesse
dachte. Den vorläufigen Abschluss seiner Sonatenkompositionen bildete die 1804/05 entstandene f-Moll-Sonate (Nr. 23, op. 57). Auch der Titel „Appassionata“ ist nicht von Beethoven, trifft aber ihren leidenschaftlichen,
eruptiven Charakter. Nach der Appassionata trat eine mehrjährige Pause in Beethovens Sonatenkomposition ein, in der er sich wieder dem Streichquartett
und großen Orchesterwerken zuwandte.
„Gott weiß es – warum auf mich noch meine Klawier-Musik immer den schlechtesten
Eindruck (macht), besonders wenn sie schlecht gespielt wird“, seufzte er 1805 und schrieb einem Verleger: „Ich geb mich nicht gern mit Klavier Solo Sonaten ab“. Nach den 23 Sonaten (1795–1805) der vergangenen
zehn Jahre entstanden in den folgenden elf Jahren nur fünf Sonaten, ehe von 1817 bis 1822 die letzten vier Klaviersonaten
erneut zum Experimentierfeld für die Ausbildung seines Spätstils wurden. „Mir schweben ganz andere Dinge vor“, „ich sitze und sinne und sinne; ich hab’s lange; aber es will nicht aufs Papier.“
Und danach wandte er sich erneut vom Klavier ab und komponierte seine letzten fünf Quartette: „Das Klavier ist und bleibt ein ungenügendes Instrument.“ 1822 wünschte er sich für die Zukunft, „ich schrieb(e) nichts als Opern, Sinfonien, Kirchenmusik,
höchstens noch Quartette“. Obwohl die klanglichen und kompositorischen
Möglichkeiten des Instruments von Beethoven zeitlebens als unbefriedigend empfunden wurden, begleiteten und förderten
die Klaviersonaten lebenslang seine
kompositorische Entwicklung. Und es entbehrt nicht der Ironie, dass Beethoven trotz seiner kritischen Haltung als erster die Klaviersonate zu einer der ganz großen Gattungen gemacht hat. Indem seine Klavierkompositionen
klanglich und technisch die Instrumente seiner Zeit überforderten, wurden gerade sie zum Anlass für die Entwicklung
des modernen Konzertflügels und förderten im 19. Jahrhundert maßgeblich den Siegeszug des Klaviers.
Gerd Indorf
Gerd Indorf ist Verfasser des Standardwerkes
Beethovens Streichquartette. Kulturgeschichtliche
Aspekte und Werkinterpretation,
Freiburg i.Br. 2004, 2. Aufl. 2007.