Die 1730 von Andreas Silbermann erbaute Orgel in der Abteikirche zu Ebersmunster (Elsass) ist ein Meisterwerk des in Paris ausgebildeten, sächsischen Orgelbauers und eine der schönsten Orgelschöpfungen der Welt. Sie kann als eine von nur zwei praktisch vollständig erhaltenen Instrumenten von A. Silbermann gelten. Die vorliegende Einspielung widmet sich Kompositionen, die in besonderer Weise mit der klanglichen Konzeption des barocken französischen Orgelbaus auf der einen und den kompositionsspezifischen
Eigenheiten der französischen Barockmusik auf der anderen Seite verknüpft sind.
Mario Hospach-Martini studierte Historische Aufführungspraxis bei Nikolaus Harnoncourt sowie Orgel bei Stefan Johannes Bleicher und Michael Kapsner. Er konzertiert international, u.a. in der Westminster Abbey, London, St. Thomas Church, New York, in Prag, Budapest, sowie in den Hauptkirchen von Strasbourg, Zürich, Bamberg, Nürnberg, Ulm, Freiburg, Potsdam, Magdeburg, Köln und Leipzig.
Die Andreas-Silbermann-Orgel
zu Ebersmunster
Mario Hospach-Martini
Blow · Purcell · Böhm · de Grigny · J.S. Bach
Vorliegende Einspielung an der 1730 von Andreas Silbermann erbauten Orgel zu Ebersmünster widmet sich fast ausschließlich Kompositionen, die in besonderer Weise mit der klanglichen Konzeption des barocken französischen
Orgelbaus auf der einen Seite und den kompositionsspezifischen Eigenheiten der französischen Barockmusik auf der anderen Seite verknüpft sind. Im Fall von Nicolas de Grigny (1672–1703) bedarf es sicher keiner näheren
Erläuterung, sein Hymnus Veni Creator Spiritus passt ideal auf ein solch disponiertes Instrument, da gerade die französischen Barockmeister
die klanglichen Möglichkeiten ihrer
Orgeln in eine optimale Symbiose zu ihrem Kompositionsstil gebracht haben.
Der englische Orgelbau wiederum hat sich bis weit in das 19. Jahrhundert hinein genau an diesem barocken französischen Orgelbau orientiert. Die größer disponierten Orgeln in England wiesen den typischen Werkaufbau französischer Instrumente dieser Zeit auf: „Chair“, „Choir“ („Positiv“, „Rückpositiv“), „Great“ („Grand Orgue“, „Hauptwerk“) und „Swell“ („Récit“, „Oberwerk“). Bereits 1695 (im Sterbejahr von Henry Purcell) findet sich ein derartig konzipiertes Instrument in der St. Pauls Cathedral in London. Der entscheidende Grund für diesen französischen Einfluss wird in der damaligen politischen Situation Englands
begreifbar. Während in England der Puritanismus
wütete – eine Form des rigorosen Protestantismus –, wurden die meisten Orgeln auf der Insel zerstört. So sahen sich viele englische Orgelbauer gezwungen, ihr Heimatland
zu verlassen, um ihr Glück in Frankreich zu suchen. Dort erhielten sie entscheidende Impulse im Orgelbau. Einige englische Orgelbauer
kehrten nach 1660 (Restauration der Monarchie) wieder in ihre Heimat zurück und bauten Instrumente, die den französischen Orgeln in handwerklicher und gewiss auch in klanglicher Hinsicht sehr verwandt waren. Leider sind in England keine Instrumente aus dieser Zeit vollständig erhalten geblieben. Henry Purcell (1659–1695) und John Blow (1649–1708) hätten sicher große Freude an einem solch herausragenden Instrument wie der Silbermannorgel zu Ebersmünster gehabt.
Johann Sebastian Bach (1658–1750) steht in einer besonderen Beziehung zu den Werken de Grignys. Er schrieb während seiner Lehrjahre an der St. Michaelisschule in Lüneburg (um das Jahr 1700) dessen Orgelmusik ab, die ihn immer wieder kompositorisch begleiten sollte. Absolut deutlich tritt dieser Einfluss in der Fantasia c-Moll BWV 562 zutage. Nicht zufällig findet sich das Anfangsmotiv der fünfstimmigen Fantasia, aus dem heraus das ganze Stück entsteht und aufgebaut ist, in der ebenfalls fünfstimmigen Fuge de Grignys wieder. Die Choralbearbeitung An Wasserflüssen Babylon könnte man als die Bachsche Art, ein französisches „tierce en taille“
zu schreiben, bezeichnen.
Georg Böhms (1661–1733) Partita über „Freu dich sehr, o meine Seele“ ist hervorragend dazu geeignet, verschiedene klangliche Kombinationen
der Silbermannorgel vorzustellen. Sie ist als typische „Claviermusik“ nicht an ein bestimmtes Tasteninstrument gebunden, daher auch nicht an einen bestimmten Orgeltypus.
Die Orgel von Andreas Silbermann (1730)
zu Ebersmünster
Die ehemalige Abteikirche von Ebersmünster
besitzt eine außergewöhnliche Orgel von Andreas Silbermann, die neben der Orgel von Marmoutier als einziges Instrument A. Silbermanns praktisch vollständig erhalten geblieben ist. Es wurde in den Jahren 1730 bis 1732 gebaut. Man bezeichnet die Orgel zu Recht als eines der Meisterwerke des in Paris beruflich ausgebildeten Orgelbauers sächsischer
Herkunft.
Weder die Geschichte noch ungeschickte, kleine Restaurierungsarbeiten des 19. Jahrhunderts
konnten der Orgel von Ebersmünster größeren
Schaden zufügen; ein Glück, dass auch der wechselnde Geschmack verschiedener Zeiten die Orgel verschonte, da das kleine Dorf nicht über genügend Geldmittel verfügte, um Änderungen daran vorzunehmen. Sie ist uns daher quasi in ihrem ursprünglichen Zustand erhalten geblieben. Nach zwei Jahrhunderten verlangte jedoch ihr Zustand eine gründliche Wiederinstandsetzung. Die Restaurierung wurde
in den Jahren 1997 bis 1999 von den elsässischen
Orgelbauern Gaston Kern, Yves Koenig und Richard Dott mit großem historischem Fachwissen und Einfühlungsvermögen ausgeführt.
Ihnen ist es mit zu verdanken, dass wir heute in Ebersmünster eine Orgel spielen und hören dürfen, die zu den schönsten Instrumenten
der Welt gezählt werden darf.
Zu den Werken
Niemand damals konnte ahnen, dass John Blow (1649–1708), als er 1680 zugunsten seines Schülers und Freundes Henry Purcell (1659–1695) sein Amt als Organist der Westminster
Abbey in London aufgab, 15 Jahren später dieselbe Stelle wieder innehaben würde,
da das Leben Purcells allzu früh endete. Beide waren strenge Kontrapunktiker, ihre Musik verblüfft den Hörer v.a. durch eine außergewöhnlich
scharfe und für unser Ohr vielleicht
sogar manchmal irritierende Dissonanzbildung.
Die Chacony in g von Henry Purcell ist nicht nur in dieser Hinsicht ein Musterbeispiel und absolutes Meisterwerk. Ursprünglich schrieb Purcell die Chacony für ein Streicher-ensemble. Leider hat uns Purcell nicht viele Orgelwerke hinterlassen, obwohl er die längste
Zeit seines Lebens, 16 Jahre lang, Organist war. Das mag damit zu tun haben, dass im Gottesdienst
hauptsächlich improvisiert wurde. Daher erachte ich es als legitim, dieses großartige
Stück auf der Orgel zu spielen, zumal es ohne jeglichen Eingriff problemlos übertragen werden kann, so als wäre es schon immer für dieses Instrument gedacht gewesen. Der Ambitus
der Oberstimmen erstreckt sich bis hin zum hohen c’’’, verwendet also die oberste der damals für eine Barockorgel üblichen Tasten. Hat Purcell es eventuell sogar selbst auf der Orgel der Westminster Abbey gespielt? Dass die Komponisten damals jedenfalls ein völlig ungestörtes Verhältnis zu solchen Übertragungen
auf andere Instrumente hatten, ist hinlänglich bekannt; das gilt im Übrigen bis weit ins 19. Jahrhundert hinein. In der Chacony
erklingt ein ostinates, also immer wiederkehrendes
achttaktiges Thema, das sich mit den übrigen Stimmen zu wahrhaft unerhörten harmonischen und melodischen Verbindungen
vereinigt. Auch die „Grounds“ gehören zu einer der beliebten Gattungen jener Zeit, v.a. bei Blow und Purcell finden sich mehrere
bezaubernde Stücke dieser Art. Ihnen liegt ein ostinates Bass- bzw. Harmoniegerüst zu Grunde, über dem sich Melodievariationen entfalten. Hier sind die Soli auf einem anderen Manual und in einer anderen Klangfarbe als die der Begleitstimmen zu hören.
Über den Werdegang von Georg Böhm (1661–1733) wissen wir leider nicht viel. Er ist in Hohenkirchen bei Ohrdruf (Thüringen) geboren, immatrikulierte sich später an der Universität in Jena, zog dann nach Hamburg, ohne dass er dort ein Amt bekleidet hätte, und
wurde schließlich 1698 zum Organisten an die Johanniskirche in Lüneburg berufen. Dieser Aufgabe widmete sich Böhm bis an sein Lebensende
1733. Es ist mit Sicherheit anzunehmen,
dass der junge Johann Sebastian Bach während seiner Lüneburger Zeit mit Böhm in Kontakt stand. Ob der Knabe Bach nun lediglich
dem Orgelspiel des großen Böhm gelauscht
hat oder ihm sogar etwas vorspielte, bleibt unserer Fantasie überlassen; in zahlreichen
Werken Bachs, v.a. in den Choralpartiten,
wird die musikalische Begegnung jedenfalls
konkreter. Böhms Choralpartiten waren zur damaligen Zeit weit verbreitet und dienten vorwiegend zur religiösen und natürlich musikalischen
Erbauung im häuslichen Bereich. Das Clavichord war für die Hausmusik in den deutschen Haushalten sehr geschätzt und in vielen „Kammern“ zu finden. Dies ist auch der Grund für die eher intime, im wahrsten Sinn kammermusikalische Schreibweise Böhms. Freu dich sehr, o meine Seele ist die umfangreichste Choralpartita Böhms mit bewundernswertem
Erfindungsreichtum in den einzelnen Variationen.
Nicolas de Grigny (1672–1703) ist, wie Henry
Purcell leider auch, viel zu früh verstorben. De Grigny stammt aus einer Musikerfamilie und war ab seinem 25. Lebensjahr Kathedralorganist
in Reims, Purcell bereits mit 21 Jahren
Organist der Westminster Abbey London. Trotz ihrer sehr kurzen Lebenszeit haben beide
Komponisten Werke geschaffen, die heute ohne Zweifel zu den außergewöhnlichsten gehören,
die in dem jeweiligen Stil geschrieben wurden. „Veni Creator Spiritus“ beginnt mit einem feierlichen, strahlenden fünfstimmigen Satz im Mixturenplenum, der Hymnus erklingt in langen Notenwerten im Tenor, gespielt auf dem Pedal. Das Thema der folgenden fünfstimmigen
Fuge ist dem Anfang der zweiten Choralzeile entnommen. Die Klangmischungen
sind vom Komponisten vorgegeben, Cornet
für die rechte und Cromorne für die linke Hand, der Bass wird mit dem achtfüßigen Pedalregister
gespielt. In den folgenden Sätzen verschwindet das Choralthema fast gänzlich. Im konzertanten Duo hören wir die atemberaubende
Klangschönheit der Cornetregister Andreas Silbermanns, wobei die linke Hand sechzehnfüßig, also mit einem großen klanglichen
Fundament registriert wurde. Nach dem kontemplativen, ruhigen Récit de Cromorne endet das Stück mit einem virtuosen Dialog im Zungenplenum. Hier, im Récit de Cromorne,
bezieht sich die Überschrift wie übrigens in den meisten der französischen Orgelstücke dieser Zeit auf die klangliche Realisation, das Solo der rechten Hand ist mit dem Cromorne auf dem „Positiv“ (Rückpositiv) zu spielen. Auch im Schlusssatz ist die Registrierung im Titel des Satzes bereits vorgegeben: Dialogue sur les grands Jeux. Das bedeutet, dass die Darstellung der französischen Orgelmusik dieser Zeit wie kaum eine andere unmittelbar an einen bestimmten Instrumententyp mit den für sie charakteristischen klanglichen Eigenschaften
gebunden ist.
John Blow (1649–1708) hinterließ uns etwa 30 Voluntaries für Orgel. Das macht die Antwort
auf die Frage, warum Purcell so wenig Orgelmusik schrieb, vom unterschiedlichen Lebensalter einmal abgesehen, nicht gerade einfacher. Purcell wandte sich in bedeutend größerem Maße der Bühnenmusik zu, obwohl er die längste Zeit als Organist angestellt war. Blow schrieb Voluntaries sowohl „for single organ“ (für eine einmanualige Orgel) als auch „for double organ“ (für eine zweimanualige Orgel). Ähnlich wie bei der Musik de Grignys gibt es auch hier Stücke, deren Titel eine bestimmte
Klangfarbe fordert. Ein solches Werk ist hier zu hören, das Cornet Voluntary in d. Während diese Musik im Kern eher traurig und schwermütig ist (durchaus mit konzertanten
Zügen), sind die beiden anderen Stücke, Voluntary in A und Voluntary in D, sehr fröhlich und tänzerisch.
Über die französischen Einflüsse der beiden
die CD abschließenden Stücke von Johann
Sebastian Bach (1685–1750) habe ich bereits eingangs geschrieben. Sowohl die Choralbearbeitung An Wasserflüssen Babylon
BWV 653 als auch die Fantasia c-Moll BWV 562, die Fuge ist uns nur als Fragment überliefert, entstanden vermutlich um 1708 in Bachs Weimarer Zeit. Die Choralbearbeitung unterzog Bach wie die meisten der sogenannten
„Achtzehn Choräle“ in seiner späteren Leipziger Zeit einer Revision. Hier hören wir die Leipziger „Endfassung“. Das ganze Stück ist durchwoben von Taktverschiebungen, so genannten Hemiolen, und vermeidet bewusst klare Kadenzen, ein von Bach meisterhaft umgesetztes
Mittel zur musikalischen Versinnbildlichung
der „Wasserflüsse“. Der Größe und Wucht des Stücks entsprechend spiele ich die Fantasia c-Moll im Plenumklang der Orgel.
Mario Hospach-Martini