Symphony No. 1 in C major op. 21
Symphony No. 4 in B flat major op. 60
Saarbrücken Radio Symphony Orchestra
Stanislaw Skrowaczewski, conductor
Der Saarbrücker Beethoven-Zyklus wird von der Presse mit hervorragenden
Rezensionen begleitet: „Eine impulsiv erregte Lesart voller Leben und einer fein durchgestalteten Dramaturgie“ (Musik&Theater)
„Dem RSO Saarbrücken ist unter Stanislaw Skrowaczewski eine der ungewöhnlichsten Aufnahmen von Beethovens 9. Sinfonie gelungen. So schwebend und zugleich so prägnant ist der Beginn der Sinfonie auf anderen Aufnahmen nicht zu hören…“ (Schwäbische Zeitung)
„Ein Wunder! Stanislaw Skrowaczewski, Dirigent mit inzwischen über 60 Jahren Bühnenerfahrung, beginnt beim Label OehmsClassics einen Beethoven-Zyklus, dessen erste Folge allergrößte Erwartungen zu wecken vermag.“ (Crescendo)
Stanislaw Skrowaczewski über diese Aufnahme
Aufnahmen von Beethoven-Sinfonien sind wahrscheinlich für jedes Orchester und jeden Dirigenten eine besondere Herausforderung
– nicht allein unter technischen Gesichtspunkten, sondern auch vom Stil und einfach vom Klang her.
Der großartige Reichtum und die Vielschichtigkeit
der Musik von Beethoven, mit ihren zweiten und dritten Stimmen, verlangen
eine perfekte Ausgewogenheit nicht nur zwischen den Hauptgruppen des Orchesters, sondern sogar bis in die Akkorde hinein. Diese
Ausgewogenheit muss in einer Aufnahme ganz klar zum Ausdruck kommen.
Lange Zeit herrschte Uneinigkeit über Beethovens Tempovorgaben. In den letzten 30 Jahren oder länger sind manche Dirigenten beinahe blind Beethovens Metronom-Angaben
gefolgt, meiner Ansicht nach häufig zum Schaden der Musik, ihres Inhalts, ihrer Botschaft,
Majestät oder Kraft.
Manchmal könnte man meinen, dass der bloße Ehrgeiz, etwas Neues zu bringen – pour épater le bourgeois, was häufig Ruhm und Reichtum bedeutet – dabei eine gewisse Rolle spielte.
Es ist bekannt, dass Beethoven die Tempoangaben
für die ersten sechs Sinfonien erst viele Jahre nach ihrer Entstehung niederschrieb. Die Genauigkeit dieser Metronom-Angaben ist fragwürdig
– so beschwerte er sich in einem Brief an seine Verleger Schott & Söhne: Mein Metronom ist krank und bräuchte einen Uhrmacher, um sein gleichförmiges, regelmäßiges Ticken wiederzuerlangen.
In anderen Briefen machte er im Laufe mehrerer Jahre unterschiedliche Tempoangaben
für ein und dasselbe Stück.
Und schließlich wissen alle Komponisten und Dirigenten, wie sehr sich unser Gefühl für das richtige Tempo über die Zeit verändern kann, besonders
wenn der Komponist von zwanghaftem, leidenschaftlichem Charakter ist, wie es Beethoven
war. In den 1820er Jahren schrieb C. M. von Weber in der Berliner Musik-Zeitung: Vergessen Sie die Zeichen auf dem Papier, benutzen Sie Ihren Verstand. Debussy sagt poetisch über Metronom-Zahlen, diese seien wie eine Rose, die, am Morgen geschlossen, sich mit dem Licht öffnet. Daher nehme ich, mit allem Respekt für Beethovens Tempovorgaben, sie manchmal „cum grano salis“ als eine Art Leitlinie, wobei für mich die Musik selbst, ihr Charakter, Inhalt, ihre Botschaft das Tempo bestimmen.
Hinzu kommt noch die Aufgabe, Beethovens
Musik auf modernen Instrumenten zu spielen. Diese muss der Dirigent bewältigen, mit seinem Wissen, Geschmack, Gefühl und seiner Auffassung der Musik.
Ich habe das große Glück, diese Probleme gemeinsam mit dem exzellenten Saarbrücker Rundfunkorchester lösen zu können.
Nach dem Erfolg mit unseren letzten Aufnahmen
aller elf Bruckner-Sinfonien weiß ich, dass diese hervorragenden Musiker die neuen Herausforderungen gemeinsam mit mir meistern werden.
Stanislav Skrowaczewski
Ludwig van Beethoven
* 16. Dezember 1770 in Bonn
† 26. März 1827 in Wien
Ein freier Künstler in Wien
Zufall der Geschichte, Glück des historischen
Augenblicks? Jedenfalls kam Beet-hoven wie gerufen. Und fand das Glück des Tüchtigen. Er postierte sich freilich auch zum rechten Zeitpunkt am richtigen Ort. Als die Revolution
1789 von Paris aus die Zeitenwende einläutete, konnte der 19-Jährige bereits auf eine kurze schillernde Karriere als Wunderkind,
vor allem dann auf eine solide Basis als pianistisches Talent und erfolgversprechender
Jung-Komponist zurückblicken. Zudem hatte er bereits mehrere Jahre als kurkölnischer
Hoforganist in Bonn ernsthaft gedient. Im Alter von 22 Jahren aber sprang er, auch aus familiären Gründen, aus den Bahnen, die manch anderem als völlig genügend erschienen
wären: Er verfügte tatsächlich über respektable
Voraussetzungen für eine Musikerlaufbahn
in einer der mehr als sechshundert selbständigen politischen Einheiten auf dem Boden des Deutschen Reichs.
Aber er wollte mehr. Er schickte sich an, Großes und Erhabenes zu schaffen. Unter dem Einfluss des grundsoliden Christian Gottlob Neefe hatte sich nicht nur seine Fingerfertigkeit enorm gesteigert, sondern vor allem auch sein Geschmackshorizont erweitert, das kompositionstechnische
Bewusstsein geschärft und ein emphatisches Bildungsideal ausgeprägt. Das speiste sich wesentlich aus der Rhetorik Friedrich
Gottlieb Klopstocks, der Poetik des Göttinger
Hainbunds und des jungen Goethe sowie der Dramatik Schillers – all das wurde soeben „klassisch“. Im Januar 1793 schickte der Bonner Professor Bartholomäus Fischenich eine im Jahr zuvor entstandene Lied-Komposition an Charlotte
von Schiller: Ich lege Ihnen eine Komposition der Feuerfarbe bei und wünsche Ihr Urteil darüber
zu vernehmen. Sie ist von einem hiesigen jungen Mann, dessen musikalische Talente allgemein angerühmt werden, und den nun der Churfürst nach Wien geschickt hat. Er wird auch Schillers Freude und zwar jede Strophe bearbeiten.
Ich erwarte etwas Vollkommenes, denn
so viel ich ihn kenne, ist er ganz für das Große und Erhabene. Die Schillers warteten fürs erste
vergeblich auf die Zusendung der Ode an die Freude, wiewohl Frau Schiller, die dem Ehemann einen Teil der Briefschulden erledigte, freundlich antwortete und um Zusendung bat. Ludwig van Beethoven machte sich wohl schon damals an die Arbeit – aber deren Ergebnisse sind nicht erhalten. Sie dürften im späteren Arbeitsprozess aufgegangen und dann entsorgt worden sein. Das Resultat trat erst lange nach Friedrich Schillers
Tod ans Licht der Öffentlichkeit und – als letzter Satz der 9. Sinfonie – den Triumphzug um die Welt an.
32 Jahre vor jener Akademie im Kärtnertor-theater, die Beethovens steile Karriere krönte – es wurden die Ouverture opus 124, Teile des Missa solemnis sowie die 9. Sinfonie mit der finalen Kantate An die Freude gegeben –, ließ sich der junge Musiker in Bonn studienhalber beurlauben. Zielsicher suchte er Wien auf und Joseph Haydn als Lehrer. Er stand an der Schwelle, als die Tür zu einer neuen gesellschaftlichen
und ästhetischen Epoche aufging.
Freilich musste er auch kräftig klopfen und die Klinke in die Hand nehmen. Er wusste bald, dass er eine schier übermenschliche Arbeitsleistung und große moralische Kraft für die weitgesteckten und hohen Ziele benötigte:
Nikolaus von Zmeskall, dem Freund und „liebsten Baron Dreckfahrer“, ließ er ein Briefchen
zukommen, in dem nicht nur der nächste Wirtshaus-Besuch vereinbart wurde, sondern sich auch die Lebensmaxime mitteilt: Kraft ist die Moral der Menschen, die sich vor anderen auszeichnen, und sie ist auch die meinige.
Durchsetzungskämpfe
Ludwig, der Student aus Bonn, begriff in der Hauptstadt rasch, dass es darauf ankam, original zu werden, wie Lehrer Haydn formulierte.
Nie würde ich so etwas gesetzt haben, schrieb er bereits kurz nach seiner Ankunft in Wien – es sollte, was er sich wohl selbst kaum vorstellen konnte, seine endgültige Lebensstation
sein. Die verehrte Eleonore von Breuning, der er Variationen für Violine und Klavier widmete und nach Bonn schickte, bat er aus gegebenem Anlass um Nachsicht für bemerkenswerte instrumentaltechnische Schwierigkeiten: … ich hatte schon öfter bemerkt,
daß hier und da einer in W. war, welcher
meistens, wenn ich des abends fantasiert
hatte, des andern Tages viele von meinen Eigenheiten aufschrieb, und sich damit brüstete.
Weil ich nun voraus sah, daß bald solche Sachen erscheinen würden, so nahm ich mir vor, ihnen zuvorzukommen.
Originell und genial
Bald war Beethoven, mit seiner wilden Mähne rasch eine stadtbekannte Figur, von Geschäften überhäuft, wie er den Bonner Verleger Nikolaus Simrock voller Stolz wissen ließ (auch mit der Absicht, das Geschäft zu beleben und die Honorare
zu seinen Gunsten anzuheben). In unseren demokratischen Zeiten, einem kurzen Wiener Frühling, etablierte er sich, was nach wie vor ein Ausnahmefall war, als freier Künstler – und blieb auch freischaffend, als mit der Verhaftung der Demokraten und den „Jakobiner-Prozessen“
in der Metropole des Habsburger-Reichs allen weiteren republikanischen Bestrebungen der Garaus gemacht wurde. Er hielt Kurs als Komponist auf dem Weg des Neuen, auf dem er auch zunehmend Anerkennung fand: Gewaltig,
mächtig und ergreifend trat Beethoven auf, hieß es im Rückblick auf die ersten Arbeiten im Wiener Journal für Theater, Musik und Mode. Neuheit und Fülle, eine Leichtigkeit die harmonischen
Mittel zu gebrauchen, eine gewisse Eigenheit
des Stiles und der Behandlung liessen von dem noch jungen Manne einen originellen und genialen Komponisten erwarten, und seine
großen Instrumentalkomposizionen, einige seiner Symphonien und Konzerte bestätigten diese Hoffnung. Wie eine Leuchtspur durchziehen
die Hinweise auf die „Götterfunken“ die Rezensionen der Instrumentalwerke: Ein heroisches
Feuer macht den vorherrschenden Zug ihres Karakters aus. Freilich wurde auch bald die allzu bizarre Manier moniert, die ausufernde
Länge einzelner Sätze und Werke und die Überfülle der Ideen – die Tendenz, Gedanken wild auf einander zu häufen.
Dessen ungeachtet wuchs der Erfolg, und die Preise stiegen.
Groß – feierlich – erhaben
Dass im 19. Jahrhundert das bürgerliche Konzert
einen so bemerkenswerten Aufschwung nahm, die Instrumentalmusik in Mitteleuropa zu derart hohem Ansehen und Rang gelangte,
war in entscheidendem Maß den Sinfonien
zuzuschreiben – jener Gattung, die sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vom Mannheim-Schwetzinger Hof aus profilierte und in Wien mit Mozart und dem späten Haydn jene Meisterschaft erlangte, die Beethoven den Parnass erklimmen ließ. So gut wie gänzlich
unberührt von der aufkommenden Diskussion
um Klassizität bzw. Romantik der Musik, dachte Beethoven in den Vorstellungen, die J.A.P. Schulz in Sulzers Allgemeinen Theorie
der Schönen Künste entwickelt hatte: Die Symphonie ist zu dem Ausdruck des Großen, des Feierlichen und Erhabenen vorzüglich geschickt. Um glücklich zu geraten, sollten die Werke dieses Genres jedoch nicht nur erschüttern und erheben, sondern sich auch durch ein besonderes Maß an Besonnenheit auszeichnen.
Die Sinfonien bedeuteten – zusammen mit der Klavier- und Kammermusik – den „Durchbruch“
Beethovens. In der Wahrnehmung des nicht speziell interessierten Publikums, überhaupt
in der Rezeptionsgeschichte nehmen sie freilich rasch eine Schlüsselstellung ein – auf dem Weg zur Vergötterung des „Titans“ wie in späteren heftigen Abwehr-Reaktionen.
Frieder Reininghaus
Sinfonie Nr. 1 C-dur op. 21
Beethovens Erste Sinfonie, zum überwiegenden
Teil 1799 komponiert, wurde am 2. April 1800 in Wien im “Kaiserlich Königlichen National-Hof-Theater nächst der Burg” uraufgeführt.
In der “Musikalischen Akademie”, deren Reinerlös dem Komponisten zufiel, stand neben der Sinfonie eines der Klavierkonzerte
(wahrscheinlich das zweite), das Septett Es-Dur op. 20 und eine Klavierimprovisation Beethovens auf dem Programm, dazu eine Sinfonie
von Mozart und zwei Gesangsstücke von Haydn. Gemessen an heutigen Verhältnissen ein Mammutkonzert – die damaligen Zuhörer müssen über eine erstaunliche Aufnahmefähigkeit
und Musikbegeisterung verfügt haben. Die Aufführung gelang zwar nur mäßig, weil es zuvor
Querelen um die musikalische Leitung des Orchesters gegeben hatte; Publikum und Kritik verhielten sich aber dennoch wohlwollend.
Konventionell und revolutionär
Der Erfolg der „Ersten“ beim konservativen Wiener Publikum hat sicher damit zu tun, dass sie sich, anders als Beethovens spätere Sinfonien,
durchaus noch im zeitüblichen Rahmen bewegt: In Umfang, Besetzung und formaler Anlage entspricht sie den Vorbildern Haydns und Mozarts; die Motivbildung und die harmonischen
Strukturen des Werks könnten sogar direkt durch Mozarts „Jupitersinfonie“ beeinflusst
worden sein. Zahlreiche Stellen in Beet-hovens sinfonischem Erstlingswerk mussten den traditionsbewussten Zuhörern allerdings dennoch Kopfzerbrechen bereiten. So zum Beispiel schon der Beginn des ersten Satzes: ein Septakkord, also eine Dissonanz, die noch dazu in die Subdominante F-dur aufgelöst wird. Die Haupttonart C-dur steht erst nach weiteren Dissonanzen und Trugschlüssen fest.
Für die damalige Zeit war das eine geradezu
revolutionäre Eröffnung, ein Staatsstreich innerhalb der Instrumentalmusik, so der Musikwissenschaftler
Peter Schleunig. Überraschend
auch eine Passage gegen Ende der Exposition: Hier erscheint plötzlich eine Moll-Variante des zweiten Themas in geheimnisvollem
Pianissimo.
Während die Idylle des langsamen Satzes vor allem durch typisch Beethovensche Sforzati
auf unbetonten Taktteilen und gelegentlich auch durch harmoniefremde Akkorde gestört wird, bedeutet im „Menuetto“ schon die Tempobezeichnung
einen Widerspruch zum Satz-titel: Ein Menuett, das „Allegro molto e vivace“ gespielt wird, ist keines mehr. Die stürmisch vorwärtsdrängende Bewegung lässt höchstens an eine Karikatur des höfischen Tanzes denken, viel eher aber noch an die Scherzi der späteren Sinfonien. Wie der Kopfsatz besitzt auch das Finale
eine recht befremdliche Adagio-Einleitung:
Nachdem das ganze Orchester im Fortissimo den Ton g gespielt hat, tasten sich die ersten Geigen in immer neuen Anläufen bis zur Septime
f hinauf – eine motivisch triviale, pathetisch vorgetragene Introduktion, die sich durch das folgende muntere Allegro-Thema als musikalischer
Witz ganz im Sinne Haydns erweist.
Studie im Haydn-Mozart-Stil?
Dennoch wurde Beethovens Erste noch lange Zeit allen seinen später komponierten Sinfonien vorgezogen. Diese empfand man als zu „schwierig“
oder „bizarr“. Es ist bezeichnend für den Gang der Beethoven-Rezeption, dass sich die Beliebtheitsrangfolge der Sinfonien im 19. und frühen 20. Jahrhundert genau umkehrte: Im gleichen
Maße, in dem man nur noch die titanenhaften
Züge Beethovens wahrnehmen wollte, stieg das Ansehen der späten Sinfonien. Und die Erste empfand man – sicherlich zu Unrecht – bald nur noch als Studie im Haydn- und Mozartstil, als bloße Vorstufe der großen, heroischen, der „eigentlichen“
Beethoven-Sinfonien.
Sinfonie Nr. 4 B-dur Op. 60
Bis heute ist Beethovens Vierte wohl seine am wenigsten aufgeführte Sinfonie. Warum sie nie so recht populär wurde, lässt sich leicht erraten:
Gerade im Vergleich zu den Nachbarwerken Nr. 3 und Nr. 5 gibt sich die Vierte eher bescheiden.
Sie verfügt weder über den gewaltigen Umfang
der Eroica noch über den heroischen Tonfall der „Schicksals“-Sinfonie. Und im Verlauf des 19. Jahrhunderts, als man immer einseitiger das Bild des „Titanen“ Beethoven pflegte, verlor die Vierte noch an Anziehungskraft. Viele kritisierten sie als einen Rückfall in vergangene Klangwelten – immerhin hat sie die kleinste Bläserbesetzung von allen Beethoven-Sinfonien und ist geprägt von einer heiteren Grundstimmung. In dieses Bild passt auch der vergleichsweise mühelose Kompositionsprozess im Sommer und Herbst 1806. Die wenigen erhaltenen Skizzen zeigen nichts von den Experimenten und Überarbeitungen,
die so oft Beethovens Kompositionsentwürfe
prägen. Allem Anschein nach handelt es sich also um ein leicht dahingeworfenes Werk von klassischer Schlichtheit.
Klassische Schlichtheit
Aber wurde die Vierte tatsächlich auch von Beethovens Publikum so wahrgenommen? Zeitgenössische
Rezensionen lassen anderes vermuten.
Etwa ein 1809 erschienener Artikel Carl Maria von Webers, der die Sinfonie zum Anlass einer Groteske über den damaligen Stand des Komponierens macht. Ironisch empfiehlt er den Nachwuchs-Komponisten: Erstens, ein langsames
Tempo, voll kurzer abgerissener Ideen, wo ja keine mit der anderen Zusammenhang haben darf, alle Viertelstunden drei oder vier Noten! – das spannt! Dann ein dumpfer Paukenwirbel und mysteriöse Bratschensätze, alles mit der gehörigen Portion Generalpausen und Halte geschmückt; endlich, nachdem der Zuhörer vor lauter Spannung schon auf das Allegro Verzicht getan, ein wütendes Tempo, in welchem aber hauptsächlich dafür gesorgt sein muss, dass kein Hauptgedanke hervortritt und dem Zuhörer desto mehr selbst zu suchen übrig bleibt. Widerwillig
gesteht er Beethoven zwar eine feurige, ja, beinahe unglaubliche Erfindungsgabe zu, doch diese gehe in der Verwirrung in Anordnung seiner
Ideen völlig verloren. Übrig bleibe ein Chaos, aus dem lediglich einzeln himmlische Genie-Blitze
hervorleuchteten. Ein heiter-unproblematisches
Werk? Webers Kommentar weist – trotz der negativen Wertung – auf das damals Neue, Aufregende, Unerhörte der Sinfonie hin.
Geheimnisse und Überraschungen
Der erste Satz beginnt mit einer harmonisch unbestimmten, im Mollbereich angesiedelten Adagio-Einleitung, die den Zuhörer auf ein bedeutungsschweres
Werk voller Spannung und Geheimnisse einstimmt. Doch diese Erwartung löst Beethoven nicht ein: Eine schnelle aufsteigende
Tonskala durchbricht wie ein Feuerwerk die düstere Stimmung und führt zum ersten Thema; es wird von den ersten Violinen vorgestellt
und ist wie das zweite (mit Fagott, Oboe und Flöte) eher verspielter als heroischer Natur. Der zweite Satz ist geprägt von einem durchgehaltenen
rhythmischen Muster (punktierten Figuren, anfangs in der zweiten Violine), vor dessen Hintergrund sich eine fließende Melodie
entfaltet. Beethoven hat den Satz in einer Art Rondoform (ABACABA) gestaltet, wobei er allerdings den Hauptgedanken bei jeder Wiederkehr
weiter verarbeitet. Obwohl der dritte Satz als „Menuett“ bezeichnet ist, lässt er den klassischen höfisch-eleganten Tanz weit hinter sich. Mit seinem Allegro-vivace-Tempo, der unbändigen
Energie und den rhythmischen Komplikationen
hat das Stück vielmehr den Charakter
eines Scherzos. Das Finale der Vierten ist oft als ein „Perpetuum mobile“ bezeichnet worden. Es steckt voller Überraschungen: So läuft zum Beispiel die Durchführung nicht etwa auf die erwartete Wiederaufnahme des Anfangs
durch das Tutti hinaus – nein, ein einzelnes
Fagott trägt zunächst das halsbrecherische Sechzehntelthema vor. Und am Ende scheint dem Orchester geradezu die Kraft auszugehen: Einige Instrumente stimmen das Thema noch einmal stockend, im Pianissimo und im halben Tempo an, bevor ein letzter Energieausbruch das Werk jäh beendet.
Jürgen Ostmann